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axel Bernd Kunze | staat – Identität – recht
1. Kennzeichen eines stabilen Gemeinwesens
Das politische Denken im Christentum rechtfertigt den Staat als notwendi-
gen organisierenden Faktor des sozialen Lebens und relativiert diesen zu-
gleich. Der Christ gibt dem Staat, was des Staates ist, und Gott, was Gottes
ist (vgl. Mt 22,21). Die Verpflichtung des Christen zum staatsbürgerlichen
Gehorsam gründet nicht in äußerem Zwang, sondern ist eine Gewissens-
pflicht, insofern der Staat als Teil menschlicher Daseinsverfassung letzt-
lich in Gott, dem Schöpfer, gründet. Der Mensch ist auf das politische Leben
hin angelegt. Die staatliche Gewalt rechtfertigt sich funktional, indem sie
die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens erhält und gestaltet.
Dies bleibt eine beständige Aufgabe; das Gemeinwohl ist kein fester Besitz-
stand, sondern muss immer von neuem gefunden und angestrebt werden.
Vom Staat zu sprechen, setzt nach herrschender Auffassung ein Staatsge-
biet, ein Staatsvolk und eine Staatsgewalt voraus. Im freiheitlichen Rechts-
und Verfassungsstaat gelten fĂĽr die so beschriebene Gebietsherrschaft
Volkssouveränität, Gewaltenteilung und Bindung an das Recht. Was der
Demokratie- und Rechtsstaatsgedanke verspricht, erhält in der Verfassung
seine „praktisch-juristische Form“ (Möllers 2008, Rn. 96).
Staatsgewalt
Der Staat besitzt einen Gemeinwohlauftrag (aber kein Gemeinwohl-
monopol) und ein weitreichendes Gewaltmonopol. Die Staatsorganisa
tion
besteht nicht um ihrer selbst, „sondern um des Volkes willen, und alles
staatliche Handeln [hat] sich aus dessen Wohl zu rechtfertigen“ – so der
eingangs schon zitierte Josef Isensee (Isensee 2015, Rn. 16). Das Gemein-
wohl als Verwirklichung der Freiheit bleibt angewiesen auf das Recht, der
Rechtsstaat wiederum auf Souveränität, um sein Recht auch durchsetzen
zu können. Zwar ist der freiheitliche Verfassungsstaat auf vorstaatliches
Menschenrecht verpflichtet, doch bedarf dieses um seiner Wirksamkeit
willen einer positiv-rechtlichen Ordnung. Die menschenrechtlich gewähr-
leistete Freiheit „ist nicht die eines wilden Naturzustandes, sondern die
der staatlich befriedeten und gehegten Ordnung des Rechts“ (Isensee 2015,
Rn. 19). Ein Staat, der durch sein Gewaltmonopol die äußere und innere
Die staatliche Gewalt rechtfertigt sich funktional, indem sie die Grundlagen
des menschlichen Zusammenlebens erhält und gestaltet.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven