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axel Bernd Kunze | staat â IdentitĂ€t â recht
Die â durchaus scharfen â âIrritationen und Fragenâ (Heimbach-Steins
2018, 233), welche die aktuelle sozialethische Debatte durchziehen, le-
gen unterschiedliche VerstĂ€ndnisse ĂŒber die angemessene Rolle des Staa-
tes unter den gegenwÀrtigen politischen Herausforderungen offen. Nicht
zuletzt an dieser Stelle gilt es weiterzuarbeiten. Grundlage einer fair und
sachlich gefĂŒhrten sozialethischen Debatte sollte es dabei sein, zunĂ€chst
einmal das SelbstverstÀndnis der jeweils anderen Position wahrzuneh-
men. Wer etwa ein stÀrkeres Gewicht staatsethischer und staatsphiloso-
phischer Argumente in der Migrationsdebatte einfordert sowie Respekt
vor der bestehenden Verfassungslage anmahnt, reduziert politische Ethik
nicht zwangslÀufig auf Staatsethik. Wer kritisiert, dass in der gegenwÀrti-
gen Migrationskrise versucht werde, ein neuartiges âRecht auf ein besseres
Lebenâ mit faktisch unbeschrĂ€nkter Niederlassungsfreiheit zu kreieren,
reduziert damit noch lange nicht die Menschen- auf BĂŒrgerrechte â zu-
mal ein solches Recht kaum justiziabel wÀre. Wer vor einem Moralismus in
der gegenwÀrtigen Migrationsdebatte warnt, reduziert Ethik nicht einfach
auf âRealpolitikâ. Ressourcenfragen sind ethisch keinesfalls neutral. Und so
kann auch die Sorge um den Erhalt staatlicher Handlungs- und Leistungs-
fÀhigkeit als ein Ausdruck der HumanitÀt betrachtet werden.
Geht es bei der Staatsethik vor allem um eine Reflexion ĂŒber die angemes-
sene Staatsform und das legitime Handeln staatlicher Organe, nimmt die
politische Ethik weitergehend die politische Praxis in ihrer Gesamtheit, die
diese Praxis strukturierenden politischen Institutionen sowie die wechsel-
seitigen Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in den Blick â mit
der Folge, dass EinfĂŒhrungen in die politische Ethik sogar so weit gehen,
unter den âepochalen Rahmenbedingungen staatlicher Existenzâ vor al-
lem gesellschaftliche Aussagen zu versammeln (vgl. Furger 1994, 142â151).
Im katholischen Bereich geht diese Erweiterung damit einher, das Men-
schenrechtsdenken in das katholische Staatsdenken zu inkorporieren:
âObwohl im konkreten Vollzug kirchlich oft angefochten und daher z. T.
auch antiklerikal aufgeladen entspricht dieses SelbstverstĂ€ndnis [âŠ]
doch zutiefst dem biblisch-christlichen Menschenbild, dem es sich zu-
mindest teilweise sogar verdankt. Die WĂŒrde, die sich u. a. tatsĂ€chlich in
der Freiheit und Vernunft des Menschen ausdrĂŒckt, grĂŒndet danach in
Auch die Sorge um den Erhalt staatlicher Handlungs- und LeistungsfÀhigkeit
kann als ein Ausdruck der HumanitÀt betrachtet werden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven