Seite - 104 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
Bild der Seite - 104 -
Text der Seite - 104 -
104 | www.limina-graz.eu
axel Bernd Kunze | staat – Identität – recht
nicht mehr einhält oder zumindest äußerst fahrlässig damit umgeht, leidet
bereits unter einem Ansehensverlust. Politisches Vertrauen ist schnell ver-
spielt, aber nur mühsam wiederaufzubauen.
Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit im gemeinsamen Zusammenleben
lassen sich auf Dauer nicht durch ein moralisches Maximum garantieren,
das die Menschenrechte als beständig auszuweitendes Instrument einer
permanenten Gesellschaftsreform gegen den Staat und seine Freiheit wie
Recht sichernden Institutionen in Frontstellung bringt. Die Sicherung des
Gemeinwohls bleibt angewiesen auf den vernunftgemäßen Interessenaus-
gleich auf Basis von Recht und Gesetz. Die Menschenrechte qualifizieren
als überpositives Recht die Ausübung der staatlichen Rechtsfunktion und
bedürfen dieser zugleich um ihrer eigenen Wirksamkeit willen. Die Men-
schenrechte gehören der Moral und dem Recht an. Der gegenwärtige so-
zialethische Diskurs neigt allerdings dazu, die moralische Seite der Men-
schenrechte stärker zu betonen als deren juridischen Charakter. Nebenbei:
Wenn wir unser Gemeinwesen konstitutiv als sozialen Rechtsstaat begrei-
fen, sollten wir pädagogisch auch mehr in eine solide Rechtskunde inves-
tieren.
5. Ausblick
Marianne Heimbach-Steins (2017, 13–15) plädiert in ihrem Entwurf einer
Migrationsethik für drei Vorrangregeln: (1.) Gleiche Würde aller Menschen
und menschenrechtliche Anerkennung genießen Vorrang vor allen Diffe-
renzen. (2.) Die Person hat Vorrang vor jeder gesellschaftlichen Institu-
tion. (3.) Das Gemeinwohl hat Vorrang vor partikularen Interessen. – An
dieser Stelle fällt eine Gewichtsverlagerung gegenüber der überkommenen
Rechts- und Staatsethik auf: Die sozialethische Tradition geht bei der Gü-
terabwägung von einem Vorrang des Personwohls aus, und dieses schließt
ausdrücklich gerade das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und
damit auf (kulturelle) Differenzierung gegenüber anderen ein. Eingriffe in
die Freiheit des Einzelnen, die um des Gemeinwohls willen vorgenommen
werden, bleiben in hohem Maße begründungspflichtig – so ist etwa das
Recht auf Privateigentum im liberalen Rechts- und Verfassungsstaat ge-
schützt, doch lässt dieser in eng umgrenzten Fällen auch Enteignungen aus
Gemeinwohlgründen bei Entschädigung des Eigentümers zu. Mit den vor-
stehend zitierten migrationsethischen Vorrangregeln wird zwar einerseits
ein starker Vorrang der Person vor jeder gesellschaftlichen Institution be-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven