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Kurt remele | Christliche Kakistokratie
„Wir konnten feststellen, dass der biblische Fundamentalismus sich be-
müht, in der Bibel eindeutige Antworten auf alle Fragen des Lebens zu
finden, obwohl die Bibel selbst nirgends eine derartige Autorität bean-
sprucht. Wir können verstehen, dass eine solche Auffassung attraktiv ist.
Wir leben in einer Welt der Kriege, der Gewalt, der Lügen. […] Menschen
aller Altersstufen sehnen sich nach Antworten. Sie suchen nach sicheren,
eindeutigen Regeln für ihre Lebensführung. Und in fundamentalistischen
Bibelgruppen werden ihnen diese Antworten mit Überzeugung und En-
thusiasmus vermittelt – grob vereinfachende Antworten auf komplexe
Fragen.“ (National Conference of Catholic Bishops 1987, 3)
Anfang der 1980er-Jahre galt krasser Anti-Katholizismus allerdings bei
vielen Evangelikalen als nicht mehr zeitgemäß. Die protestantische Rechte
hatte die katholische Rechte nun als attraktive Bündnispartnerin entdeckt,
sei es im praktischen politischen Kampf gegen die gesetzliche Straffrei-
heit der Abtreibung und die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Homo-
sexuellen, oder in der Abwehr von Feminismus und Tötung auf Verlan-
gen, atomarer Abrüstung und Abschaffung der Todesstrafe, staatlichen
Wohlfahrtsprogrammen und internationalen Organisationen, Darwin und
Demokraten. Zahlreiche fundamentalistische Christinnen und Christen,
darunter rechtskonservative Katholiken, organisierten sich nun, um ihre
Forderungen stärker in die Öffentlichkeit zu tragen und im Kongress der
Vereinigten Staaten Lobbyarbeit für sie zu betreiben. Im Jahre 1979 grün-
dete Jerry Falwell (1933–2007), der Pastor der Thomas Road Baptist Chur-
ch in Lynchburg, Virginia, die ultra-konservative Moral Majority, die vor
allem auf nationaler Ebene agierte. Zehn Jahre später rief sein 1930 gebo-
rener Amtsbruder Pat Robertson die Christian Coalition mit stärker loka-
lem, dezentralisiertem Aufbau ins Leben. Einen durchaus repräsentativen
Eindruck von Falwells und Robertsons Gottes- und Moralvorstellungen
vermittelt ihre theologische Deutung der terroristischen Attacken vom 11.
September 2001: Übereinstimmend interpretierten sie die Terrorangrif-
fe als mächtige Demonstrationen des Zornes Gottes über die vielen in den
USA lebenden Heiden, Abtreibungsbefürworter, Feministinnen, Schwulen
und Lesben (Goodstein 2001).
Der christliche Fundamentalismus in den USA begreift „Amerika als er-
wählte Nation, deren christliche Grundlagen erhalten werden müssten,
Dem christlichen Fundamentalismus in den USA geht es
um politische Mobilisierung, Macht und Herrschaft.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 194
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven