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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
Einleitung und Problemaufriss
Der gegenwärtige Migrationsdiskurs kann nach wie vor als problemzen-
triert gelten; auf seiner Grundlage adäquate Erklärungen für die Bildungs-
aufstiegsprozesse der zweiten Generation zu erbringen, gelingt nicht. Ins-
besondere fĂĽr die VertreterInnen der zweiten Generation mit tĂĽrkischer
Herkunft aus bildungsfernen Milieus bleiben sowohl die Transforma-
tionsprozesse hinsichtlich des Bildungsaufstiegs als auch die damit ver-
bundenen Fragen von Identität, Religion und Tradition erklärungsbedürf-
tig. Letztere werden hier in Abhängigkeit von der zentralen Thematik des
Bildungsaufstiegs analysiert. Dabei ist jedoch zu berĂĽcksichtigen, dass die
genannten Momente bzw. deren Veränderungen nicht allein auf eine er-
folgreiche Bildungslaufbahn zurĂĽckzufĂĽhren sind. Vielmehr verdankt sich
diese spezifische Perspektive dem zentralen Erkenntnisinteresse dieses
Essays (s. unten), der ausgehend von einer ihm zugrunde liegenden qua-
litativ-empirischen Untersuchung, die den Bildungsaufstieg zum Gegen-
stand hat, dessen Konsequenzen für die Prozesse von Identität, Tradition
und Religion darzulegen versucht.
Insofern die Bildungslaufbahn einen Teil des größeren sozialen Zusam-
menhangs bildet, in den sie eingebettet ist, steht sie in einem Vermitt-
lungsverhältnis zu Identität, Tradition und Religion. Hinsichtlich des ers-
ten Moments lässt sich zunächst feststellen, dass
„die Identität und der soziale Lebenszusammenhang […] in wechselsei-
tiger Abhängigkeit [stehen]. Die aktive Auseinandersetzung mit dem so-
zialen Umfeld ist die Voraussetzung fĂĽr die Entstehung von Selbst-Vor-
stellungen einer Person.“ (Mohagheghi 2011, 427)
In dieser Hinsicht – als Interaktion mit dem sozialen Feld (Bourdieu) – ist
Identität prozesshaft zu denken. Gleiches gilt für die Konzepte von Tradi tion
und Religion:
„Traditionsbildung [ist] im Kontext von Migration daher nicht einfach
die Kontinuität von Erfahrungen […], sondern die lebensgeschichtliche
Bearbeitung eines Bruchs mit den Alltagsroutinen. […] Diese Formen
der Bearbeitung [sind] immer auch in intergenerative Zusammenhän-
ge eingebettet und führen zu Prozessen intergenerativer Transmission.“
(Geisen 2014, 171)
Die Bildungslaufbahn ist Teil eines größeren sozialen Zusammenhangs.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven