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Şenol Yaĝdı | Von der Bildungsferne zum Bildungsaufstieg
Aufstieg der Studierenden zu deuten, um zu erklären, wie dieser Bildungs-
aufstieg trotz der geringen Ausstattung des Elternhauses mit traditionellen
bildungsrelevanten Ressourcen gelingen konnte. Da in der gesellschaft-
lichen Diskussion um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund
meist deren sprachliche und leistungsbezogene Defizite im Vordergrund
stehen, zielt die Untersuchung darauf ab, ihre Potenziale und die Komple-
xität der Bildungsverläufe in ihrer migrationsbedingten Lebenssituation in
den Blick zu rücken.
Die Leistung dieser Studie besteht darin, dass nicht nur einzelne Fakto-
ren (z. B. Geschlecht, Identität etc.) des Bildungserfolgs4 von Kindern und
Jugendlichen mit Migrationshintergrund untersucht werden, sondern ein
breites Spektrum an Gelingensbedingungen,5 Einflussfaktoren und Res-
sourcen für den Bildungsaufstieg in den Blick genommen wird.
Zunächst stehen die theoretische Grundlegung und die zentralen Ergeb-
nisse im Mittelpunkt der Darstellung. Anschließend werden das Erkennt-
nisinteresse, die zentralen Forschungsfragen und der methodische Zugang
erläutert. Schließlich wird das Verhältnis von Identität, Tradition und Reli-
gion im Kontext des Bildungsaufstiegs reflektiert.
Theoretische Grundlagen:
Bildungserfolg aus der Sicht von Pierre Bourdieus Kapitaltheorie
Da Bourdieus Theorie ihren Fokus auf Bildung im Kontext gesellschaft-
licher Strukturen legt, bildet diese die theoretische Grundlage der Studie:
Nach Bourdieu existiert ein immanentes Beziehungsgefüge, in dessen
Zentrum die Schule, die Bildung (auch das Elternhaus) und das Wissen ste-
hen (vgl. Bourdieu 1982, 279). Dabei spielen das soziale Milieu sowie die
Ausstattung mit den Kapitalsorten eine große Rolle, sodass der Schulerfolg
auch durch die Vererbung von kulturellem Kapital beeinflusst ist. Die Wei-
tergabe eines ‚Habitus‘, der bestimmte Fähigkeiten des Umgangs mit Wis-
sen einschließt, erzeugt nach Bourdieu den Anschein einer höheren Bega-
bung, wenngleich objektiv betrachtet Lernprozesse die Grundlage bilden.
Bourdieu führt jedoch weiter aus, dass Fleiß, hohe Bildungsaspirationen
und sonstige Faktoren trotz einer niedrigen Schichtzugehörigkeit einen
sozialen Aufstieg ermöglichen können. Der Fokus von Bourdieus Theorie
liegt auf der Frage, welche sozialen Praktiken für den Aufstieg vom sozia-
len ‚Unten‘ zum sozialen ‚Oben‘ verantwortlich sein können (vgl. Mafaa-
lani 2012, 65). Für Bourdieu können die von Migrantenfamilien zur Verfü-
Stellung bzw. der Klasse zu erfas-
sen erlaubt, kann angesichts der
neueren Forschung zu Bourdieu
als überholt gelten. Bereits seine
wissenschaftstheoretischen Über-
legungen zur Notwendigkeit, in
der soziologischen Theoriebildung
sowohl subjektivistisch als auch
objektivistisch orientierte Ansätze
(vgl. Koller 2002) zu überwinden
(Letztere würden einen Determinis-
mus implizieren), widersprechen
einer deterministischen Lesart der
Konzeption (vgl. Bourdieu 1987).
Gegen eine deterministische Inter-
pretation spricht ebenso – neben
anderen Aspekten – der Umstand,
dass Bourdieu seine Theorie re-
lational gedacht hat (vgl. Höhne
2013). Neuere Gesamtdarstellungen
der Theorie Bourdieus wie jene von
Rehbein kommen deshalb zu dem
Schluss: „Der Habitus ist determi-
niert und schöpferisch zugleich.“
(Rehbein 2016, 85) Eine determi-
nistische Theorie des Habitus hätte
schließlich mit dem spezifischen
Erklärungsdefizit zu kämpfen, wie
es einer Person gelingen kann, im
sozialen Raum jenseits der eigenen
Klassenherkunft nicht nur Fuß zu
fassen, sondern zu reüssieren.
4 Unter „Bildungserfolg“ wird hier
und im Folgenden der erfolgreiche
Weg von der Volksschule bis zur
Hochschulreife verstanden.
5 „Gelingensbedingungen“ be-
zeichnen jene Ressourcen, die die
Zielgruppe für ihren Bildungsauf-
stieg eingesetzt hat. Aufgrund des
qualitativen Zugangs dieser Studie
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 222
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven