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Wolfgang Benedek | Religiöser Fundamentalismus aus menschenrechtlicher Sicht
der religiösen Erziehung, im Bereich der Integration und der Deradikalisie-
rung Einfluss zu gewinnen, und eigene Schulen, Krankenhäuser, Friedhöfe
oder Unternehmen gründen, um den Islam als allumfassendes Lebensmo-
dell zu fördern (vgl. Vidino 2017).17
Hier wird ein Generalverdacht ausgesprochen und mit verschiedenen Bei-
spielen belegt, wie etwa im Bildungsbereich versucht wird, muslimische
Einrichtungen zu schaffen (vgl. Scholz/Heinisch 2019, 249ff.). Dies kann
zu einer Stigmatisierung aller MuslimInnen führen, die sich im weitesten
Sinne politisch betätigen oder auch nur Kopftuch tragen. Angesichts weit
verbreiteter katholischer Schulen stellt sich freilich die Frage, was an kon-
fessionell getragenen Schulen fundamentalistisch ist. Sollen die Rechte und
Freiheiten in Österreich nicht für alle gleich gelten? Ist es nicht der Staat,
der die Vorgaben für solche Institutionen, wie etwa die Lehrpläne, macht?
Was ist mit den österreichischen Auslandsschulen wie dem St. Georgs-
Kolleg in Istanbul? Viele MuslimInnen werden eine solche Haltung ihnen
gegenüber als eine weitere Diskriminierung empfinden.
Jedenfalls ist schwer zu ersehen, worin eine allfällige Rechtswidrigkeit
dieses Verhaltens liegen sollte, wenn man von behaupteten internationa-
len Vernetzungen mit radikalen Zweigen der Muslimbruderschaft absieht.
Man kann darin eine fundamentalistische Grundhaltung erblicken, wie sie
freilich in allen Religionsgemeinschaften anzutreffen ist, etwa dem Opus
Dei in der katholischen Kirche, gegen das ähnliche Vorwürfe bestehen. Eine
allfällige Mitgliedschaft bei den Muslimbrüdern ist auch nicht verboten. In
keinem Land der Europäischen Union noch in den USA gelten sie als ter-
roristische Vereinigung. Daraus folgt, dass die massive Vorgangsweise der
Behörden gegen Personen, die als gut integrierte und aktive Mitglieder der
Gesellschaft gelten, den Generalverdacht gegen die MuslimInnen weiter
verstärkt und damit die Grundlagen für Integration und ein vertrauensvol-
les Zusammenleben schwächt, auch wenn die Regierung betont, dass sich
die Aktion nicht gegen die Muslime an sich gerichtet hat. So wird es aber
von vielen aufgefasst.
Sollen die Rechte und Freiheiten in
Österreich nicht für alle gleich gelten?
17 Interview mit Lorenzo Vidino,
Kleine Zeitung vom 29.11.2020,
14–15. Siehe auch Gudrun Harrer,
„Razzien gegen angebliche Muslim-
brüder: Warum man Arafat nicht
kennen sollte“, Der Standard vom
26.11.2020, 9.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven