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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
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68 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische GefĂ€hrdung Fundamentalismus stellt eine bleibende Herausforderung fĂŒr Religionen und Gesellschaften dar. Je vielschichtiger das PhĂ€nomen beleuchtet wird, desto eher ist ein Verständnis möglich und sind darauffolgende Maßnah- men effektiv anwendbar. In diesem Artikel möchte ich daher eine zusätz- liche Deutungsperspektive auf Fundamentalismus anbieten: Fundamen- talismus als gewaltsame (Wieder-)Herstellung von Reinheit. Ich gehe dabei von Mary DouglasÊŒ SchlĂŒsselwerk Reinheit und GefĂ€hrdung1 aus und werde diesen klassischen Ansatz mit Interpretationen von Fundamentalis- mus sowie aktuellen Forschungen zu Reinheitsvorstellungen ins GesprĂ€ch bringen.2 Douglas selbst hat in ihrem kulturanthropologischen Zugang auch religionswissenschaftliche, sozial- und kognitionspsychologische Erkenntnisse integriert, was hier ebenfalls geschehen soll. Damit verbunden ist kein exklusiver Anspruch, sondern das Angebot einer zusĂ€tzlichen Perspektive, durch die sich neue Interpretationsmöglichkei- ten ergeben: Es erweitert die Möglichkeiten des Verstehens fundamen- talistischer PhĂ€nomene, macht mögliche GrĂŒnde und Motivationen fĂŒr fundamentalistische Denkweisen sichtbar und bietet zusĂ€tzliche Hinweise fĂŒr den Umgang mit ihnen. Ziel ist es, Fundamentalismus nicht als (exter- nen) Missbrauch von Religion, sondern als ein inhĂ€rentes PhĂ€nomen so- zialer Systeme zu verstehen, als Ergebnis einer spezifischen Entwicklung aus Weltdeutung und sozialen Dynamiken, als Teil von religiösen Tradi- tionen – und daher als nicht vollstĂ€ndig zu verhindern. Eine zusĂ€tzliche Konsequenz aus diesen Überlegungen ist, Fundamentalismus nicht aus- schließlich als Erscheinung religiöser Traditionen zu begreifen, sondern als Potenzial aller menschlichen Bedeutungssysteme, also auch sĂ€mtlicher politischer oder sozialer Ideologien und Bewegungen. 1 Fundamentalismus und Gewalt Der Ausdruck ‚Fundamentalismus‘ ist ein analytisch kaum zu fassender Begriff. Er wird in unterschiedlichen Kontexten verwendet, ist fast immer eine Fremdbezeichnung, dient im Regelfall einem negativen Urteil und ist auch religions- und sozialwissenschaftlich nicht einheitlich definiert. Zu- dem liegt sein Ursprung einerseits innerhalb des protestantischen Chris- tentums der USA,3 andererseits werden mit ihm heute häufig Erschei- nungsformen des Islam identifiziert; zugleich wird er auch auf Hinduis- mus, Buddhismus oder neureligiöse Bewegungen angewandt (vgl. Kienz- ler 2007, 9–14). Hinzu kommen auch Fragen der zeitlichen Einordnung: 1 Bei Mary Douglas bezieht sich das Wort ‚GefĂ€hrdung‘ auf die empfun- dene Bedrohung von Reinheit durch Verschmutzung. Ich drehe im Titel die Zielrichtung um und weise Fun- damentalismus seinerseits als eine GefĂ€hrdung aus, die sich aus Rein- heitskonzeptionen ergibt. 2 Herzfeld (2016) hat ‚Reinheit und GefĂ€hrdung‘ schon zuvor mit dem Begriff ‚Fundamentalismus‘ in Verbindung gebracht, es handelt sich hier jedoch um eine Studie zu politischer Sprachsemantik in Groß- britannien und nicht um eine Analy- se des Begriffs oder des Phänomens selbst. 3 Schirrmacher (2011, 9–10) weist darauf hin, dass das Schriftgut die- ser ersten „Fundamentalisten“ Ă€u- ßerst heterogen ist und vieles davon keineswegs ‚fundamentalistisch‘ im heutigen Sprachgebrauch wĂ€re.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
4:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
224
Kategorien
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