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Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische GefÀhrdung
Das BedrohungsgefĂŒhl verstĂ€rkt Zusammenhalt, Kollektivismus und die
Beachtung sozialer Normen, um eine Bedrohung abzuwehren. Auch fun-
damentalistische Gruppen funktionieren nach diesem Prinzip, das GefĂŒhl
der GefĂ€hrdung fĂŒhrt zu engeren Bindungen, das Individuum stellt sich zu
Gunsten des Ganzen zurĂŒck:
âWie Freud gezeigt hat, blenden Angehörige der GroĂgruppe in einer
narzisstischen Identifizierung miteinander die individuellen Unterschie-
de aus. Ihrer Bindung und IdentitÀt versichern sie sich dadurch, dass sie
so sind wie die anderen Gruppenmitglieder. Andersartiges und Fremdes
taucht dann als das Verunreinigende auf. [âŠ] Durch dieses Denken in
Kollektiven wird der bedrohliche fremde Andere auch nicht als unab-
hÀngiges Individuum gesehen, sondern er ist ein Agent des Feindes, der
die eigene HomogenitĂ€t zerstören möchte.â (Boehler 2011, 40; 43â44)
Fundamentalismus bietet einem Individuum auf diese Weise auch Bezie-
hung und soziale Integration. Fundamentalistischen Gruppen gelingt eine
Form der Beziehungsbildung, die Alan Fiske als communal sharing (CS)
bezeichnet hat.11 Solche Beziehungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie
durch ein gemeinsames Band, eine gemeinsame Essenz gebildet werden,
etwa familiÀre Verwandtschaft, enge Beziehungsformen (Ehe), aber auch
durch die Zugehörigkeit zu StÀmmen, Nationen oder Glaubensgemein-
schaften â CS setzt immer ein gemeinsam geteiltes Spezifikum voraus. Ob-
jekte, Symbole und Riten dienen der Veranschaulichung und BekrÀftigung
des gemeinsamen Bandes. Das Ideal der CS sind Gleichheit, Zugehörigkeit,
Treue, Identifikation und KonformitaÌt innerhalb der eigenen Gruppe, ihre
Ethik ist von FĂŒrsorge und Verantwortung fĂŒreinander â nicht fĂŒr andere â
geprÀgt. CS-Beziehungen bieten NÀhe, Aufgehobensein, Vertrauen und so-
ziale Einbindung und wirken daher anziehend auf Menschen. Diese enge,
intensive Beziehungsform findet sich in sehr vielen sozialen Kontexten,
aber eben auch in fundamentalistischen Bewegungen, die auf diese Weise
soziale IdentitÀt und Zugehörigkeit ermöglichen. Die gemeinsam wahrge-
nommene GefÀhrdung verbindet Menschen zu Gruppen, die als CS-Bezie-
hung organisiert sind.
Nach Fiske weist aber jeder Beziehungsmodus auch Risiken und spezifische
Gewaltneigungen auf. Jede CS-Beziehung sorgt sich um ihre StabilitÀt, da
sie sich auf gemeinsame Grundlagen beruft. Sie ist gefÀhrdet durch Abwei-
chungen von ihren etablierten Strukturen sowie durch âNeueâ oder âEin-
11 Nach Fiske (1992) lassen sich
vier grundlegende menschliche Be-
ziehungsmodi unterscheiden, CS ist
einer davon.
Fundamentalismus bietet eine Beziehung des communal sharing.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven