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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Seite - 86 -
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86 | www.limina-graz.eu Christian Feichtinger | Reinheit und fundamentalistische GefĂ€hrdung Missbrauch oder Fehlentwicklung, sondern deren immerwĂ€hrende Mög- lichkeit. Fundamentalismus betrifft nicht spezielle, religiöse Traditionen, sondern ist eine stets mögliche Entwicklung in der Dynamik aus Reinheit und Unreinheit im Sinne von Douglas. Dennoch gilt es, solchen Entwick- lungen entgegenzutreten, da sie die mĂŒhsam errungenen Grundrechte auf Leben, Freiheit oder Unversehrtheit von Menschen bedrohen und in Frage stellen. Begriffe wie ‚Missbrauch‘ oder ‚Fehlentwicklung‘ wĂŒrden jedoch ĂŒber diese inhĂ€renten Potenziale hinwegtĂ€uschen und Fundamentalis- musprĂ€vention erschweren, da sie zu einer Abtrennung der fundamenta- listischen Formen von ihren UrsprĂŒngen fĂŒhren. Möglicherweise ist es so- gar zielfĂŒhrender, diese Dynamik als Prozess zu verstehen, als ‚Reinigung‘, bei der permanent Zugehörigkeiten und Grenzziehungen ausgehandelt oder hergestellt werden. Dies steht auch in Zusammenhang mit den so- zialwissenschaftlichen Konzepten von symbolischen und sozialen Grenz- ziehungsprozessen (vgl. Lamont/MolnĂĄr 2002) sowie des ‚Othering‘. Eine eingehendere Reflexion kann im Rahmen dieses Beitrags nicht erfolgen, doch könnten beide Konzepte hypothetisch als Beschreibung von symbo- lischen und sozialen Prozessen verstanden werden, in denen sich die von Douglas beschriebene Dynamik auf eine bestimmte Weise sozial und kul- turell manifestiert. Studien zur FundamentalismusprĂ€vention stehen noch am Anfang. Aus den bisherigen Überlegungen sind daher keine konkreten, empirisch gesicher- ten Maßnahmen, wohl aber mögliche Ausblicke abzuleiten. PrĂ€vention von Fundamentalismus wĂ€re zunĂ€chst damit zu beginnen, das eigene Gewalt- potenzial zu erkennen und als mögliche Bedrohung ernst zu nehmen. Jede Religion, jede Weltanschauung ist aufgefordert, sich dem Fundamentalis- mus zu stellen als vorhandener oder möglicher AusprĂ€gung ihrer je eigenen Weltdeutungen und sozialen Strukturen – als ihr je eigenes Potenzial der Verengung, Purifizierung und Gewalt.12 Eine Abtrennung des Fundamen- talismus von der je eigenen Tradition verstellt den kritischen Blick auf die eigenen Potenziale. Die Fragestellung könnte sogar umgedreht werden: Nicht GewalttĂ€tigkeit muss erklĂ€rt werden – denn sie war und ist ein prĂ€- gender Teil menschlichen Zusammenlebens –, sondern Gewalt losigkeit. Gegenstand des Interesses könnten dann vielmehr jene Faktoren werden, die Menschen zu friedlichem Zusammenleben befĂ€higen, anstatt Friedfer- tigkeit als Normalfall und Gewalt als Fehlentwicklung zu betrachten, fĂŒr die es GrĂŒnde zu suchen gilt. Ebenso bedeutsam wĂ€re die EinĂŒbung in Kritik und Selbstkritik: WĂ€hrend Fundamentalismus gerade die Bewahrung der Reinheit eines Systems an- 12 Dies sollte ausnahmslos prak- tiziert werden, auch bei zunĂ€chst ausschließlich positiv wirkenden Bewegungen (etwa Klimaschutz oder Antirassismus, um aktuelle Beispiele zu nennen). Denn eben alle Bewegungen haben das Potenzial zu fundamentalistischen AusprĂ€gun- gen.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
4:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
224
Kategorien
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