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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
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97 | www.limina-graz.eu Fabian Müller | Biblizismus als Retter der Tradition? Mit Platon geht Gregor davon aus, dass das, was der Mensch bei materiel- len Dingen erkennen kann, das Allgemeine an ihnen ist. Es gibt z. B. etwas, das allen Tischen gemeinsam ist; diese Idee des Tisches ermöglicht es dem Menschen, einen einzelnen Tisch als Tisch zu erkennen. Die Idee des Ti- sches ist aber an sich immateriell. Materiell ist nur der einzelne konkrete Tisch. So ist es, laut Gregor, auch mit den Qualitäten. Ein Stück Holz z. B. hat eine bestimmte Farbe, Größe, Lage usw. All diese Qualitäten sind an sich, wie auch die Ideen, immateriell. Erst das Zusammenwirken der Qua- litäten konstituiert die Materie. Im Zuge eines Synergieeffekts schafft die Gesamtheit der an sich – als Einzelne – immateriellen Dinge den Sprung in die Materialität (vgl. Köckert 2009, 414–424). Damit hat Gregor erklärt, wie ein immaterieller Gott eine materielle Welt erschaffen kann. Diese Interpretation von Gen 1,1–2 kann natürlich ihren platonischen Hintergrund nicht verleugnen. Sie bietet einen Lösungsan- satz für ein altes Problem, das heute unter dem Begriff „mentale Verursa- chung“ verhandelt wird (vgl. Maslen/Horgan/Daly 2009, 523–553). Gregor interpretiert den Bibeltext auf dem Hintergrund der damals vorherrschen- den Philosophie, zugleich wird er aber nicht müde zu betonen, dass sich seine Auslegung aus dem Text selbst ergibt (vgl. Köckert 2009, 421; Mar- modoro 2015, 102–109). Im Mittelalter geht Robert von Melun (1100–1167), wie bereits Gregor von Nyssa, von einer Schöpfung in einem einzigen Augenblick und nicht in sechs Tagen aus (vgl. Evans 1996, 252). Auch Honorius von Autun (1080–1150) interpretiert Gen 1 auf diese Weise und verweist dafür auf Sir 18,1 („Der in Ewigkeit lebt, hat alles insgesamt geschaffen“). Hier wird wiederum mit- hilfe der wörtlichen Auslegung der einen Bibelstelle (Sir 18,1) die andere Bibelstelle (Gen 1) allegorisch ausgelegt (vgl. ebd.). In der vielbeachte- ten Auslegung von Thierry von Chartres (1100–1150) wird der erste Satz der Bibel „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ ebenfalls allegorisch ausgelegt. Laut Thierry hat Gott damit die vier Elemente geschaffen, aus denen sich dann in weiterer Folge der Kosmos entwickelt (vgl. Flasch 2013b, 260). Neben den vielfältigen Varianten einer allegorischen Auslegung von Gen 1–2 gibt es aber auch Exegeten, die an einer wörtlichen Auslegung festhal- ten. Theophilus von Antiochien († 183) nimmt umfangreiche Berechnun- Vielfältige Varianten einer allegorischen Auslegung, aber auch Exegeten, die an einer wörtlichen Auslegung festhalten
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
4:1
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2021
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
224
Kategorien
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