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Adem Aygün | Fundamentalismus im zeitgenössischen islamischen Denken
5 Ursachen des Fundamentalismus
Die Erneuerung und Ausbreitung des Fundamentalismus unter einem tra-
ditionalistischen Deckmantel, ob nun in rein theologischer Form wie beim
Wahhabismus oder in einer politisch-religiösen Ausprägung wie bei den
Muslimbrüdern und dem Dschihadismus, hat mit vielschichtigen und viel-
fältigen Variablen zu tun. Sie wirkt sich gegenwärtig nicht nur auf die ra-
dikalen Bewegungen aus, sondern auch latent auf den Mainstream-Islam,
den die Mehrheit der Musliminnen und Muslime vertritt. Daher können die
Übergänge von traditionsbewussten Bewegungen zu liberalen, von gemä-
ßigten zu extremistischen dynamisch und fließend sein. Dies ist zweifellos
der Grund für die terminologische Verwirrung in den Diskursen der Sozio-
logie, Psychologie, Politikwissenschaft, Kriminologie und Religionswis-
senschaft, da sich die wissenschaftlichen Bemühungen auf fundamenta-
listisch-radikale Erscheinungsformen des Islam und ihre Ursachen fokus-
sieren. Dabei steht im Zentrum die Frage, ob der Islam bzw. die islamische
Theologie eine Grundlage für Gewalthandlungen bietet oder zumindest
einen theoretischen Rahmen für Gewalt schafft, in dem die Menschen zu
einem fundamentalistisch-radikalen Islam, zu politischem Widerstand
und kriminellem Verhalten bzw. zur Entfremdung gegenüber der Gesell-
schaft geführt werden.
Aus der akademischen Auseinandersetzung mit solchen Fragen ergeben
sich unterschiedliche Ansichten. Eine geht davon aus, dass der Islam eine
Gewalttheologie reproduzierte, die auf seinen Quellen und Lehren basierte
sowie auf Prinzipien wie der Untrennbarkeit von Religion und Politik oder
auch auf den Grundlagen von Absolutheitsanspruch und Ausgrenzung.
Daraus könne eine Ideologie entstehen, die sich als politische Kraft und
soziale Identität manifestiert (vgl. Pfahl-Traughber 2007; Riesebrodt
2001).
Obwohl diese Ansicht, wie oben erläutert, im Kontext des Mottos „Rück-
kehr zum goldenen Zeitalter“ zu verstehen ist, welches den fundamen-
talistischen und radikalen Strömungen zugrunde liegt, wird sie kritisiert
(vgl. Lohlker 2016; Kepel 2016), weil sie den Fundamentalismus nur auf-
grund der historisch-theologischen Konstanten des islamischen Denkens
zu erklären versucht. Dadurch werde ignoriert, dass dieses Phänomen je
nach Ort und Zeit und unter dem Einfluss anderer Variablen reproduziert
Bietet der Islam eine Grundlage für Gewalthandlungen?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven