Seite - 171 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
Bild der Seite - 171 -
Text der Seite - 171 -
171 | www.limina-graz.eu
Rita Perintfalvi | LGBTIQ-Menschen als Zielscheiben rechtspopulistischer und fundamentalistischer Angriffe
hungsgeschichte und den historischen Hintergrund der Bibel nicht berück-
sichtigt bzw. deren Einbezug grundsätzlich ablehnt.
„Handeln in Nächstenliebe wird nicht vom anderen Menschen her, vom
unvorhersehbaren Nächsten und dessen Not her begründet, so wie es
z. B. Jesus tat in seinem Eintreten für Notleidende. Jesus ging es nicht um
die Erfüllung von Geboten im Sinne einer Gesetzes- und Belohnungs-
religion der ,guten Werke‘, sondern um das Sich-Kümmern um den
Anderen. Handeln wird auch nicht von der jeweiligen Situation her be-
stimmt und auch nicht von dem sich autonom entscheidenden Menschen
her im Sinne der Pflicht-Ethik des kategorischen Imperatives bei Kant.“
(Gerber 2015, 83)
Typisch für die fundamentalistische Denkweise ist, dass sie wissenschaft-
liche Argumente ignoriert oder die Wissenschaft sogar als Feindbild kons-
truiert. Und eben diese ‚Wahrnehmungsblockaden‘ verunmöglichen den
Dialog mit Disziplinen wie Medizin, Biologie, Psychologie und Psychiatrie.
Deren moderne Erkenntnisse und Entdeckungen über trans- sowie inter-
sexuelle Menschen könnten ihnen jedoch helfen, das Leben und Leiden
dieser Menschen besser zu verstehen.
Die pathologisierende Ablehnung der ‚widernatürlichen‘ Homosexuali-
tät wird von der als unverrückbar geltenden Schöpfungsordnung her be-
gründet und daher als therapierbar bekämpft, obwohl alle seriösen wissen-
schaftlichen Forschungen das Gegenteil beweisen. Auch das totale Miss-
verständnis von Trans- und Intersexualität wird naturrechtlich durch die-
se Schöpfungsordnung gestützt:
„Der Versuch, den konstitutiven Unterschied von Mann und Frau zu
überwinden, wie es in der Intersexualität oder im Transgender der Fall
ist, führt zu einer männlichen und weiblichen Ambiguität, die auf wider-
sprüchliche Weise jene sexuelle Differenz voraussetzt, die man negieren
oder aufheben will. Dieses Oszillieren zwischen männlich und weiblich
wird letztlich zur bloß ‚provokatorischen‘ Demonstration gegen die so-
genannten ‚traditionellen Schemata‘, die den Leiden derer, die in einer
unbestimmten Situation leben, nicht Rechnung trägt. Eine ähnliche Auf-
fassung sucht die Natur auszulöschen (alles das, was wir als uns vor-
aus bestehende Grundlage unseres Seins und all unseres Handelns in der
Welt empfangen haben), während man sie damit implizit bestätigt.“
(Kongregation für das Katholische Bildungswesen 2019, Punkt 25)
Wenn Gott den Menschen binär, also als Mann und Frau, geschaffen hat,
dann gibt es für Intersexuelle keinen Platz mehr in dieser göttlichen Ord-
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:1
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:1
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 224
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven