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Thomas Söding | Freiheit des Gewissens – Freiheit des Glaubens
Die Problemstellung
Für das Neue Testament ist Gott der Grund, der Anwalt und Antrieb aller
menschlichen Freiheit; Paulus hat diesen Ansatz, der auf den Exodus zu-
rückgeht, die Befreiung Israels aus Ägypten, christologisch rekonstruiert
und ethisch orientiert (Vorholt 2018). Im Ersten Korintherbrief hat er die
Korrelation zwischen der Freiheit und dem Recht des Apostels reflektiert,
einschließlich der Konsequenz, auf ein Recht zu verzichten, wenn dies der
Freiheit anderer dient (1 Kor 9). Im Galaterbrief hat er die Ethik der Liebe
ins Zeichen der Freiheit gestellt, die Gottes Gebot nicht auflöst, sondern
erfüllt (Gal 5). Im Römerbrief hat er die persönliche Heilshoffnung, die sich
in der Rechtfertigung durch den Glauben verdichtet, in den großen Hori-
zont der Schöpfungstheologie und der Heilsgeschichte Israels gestellt, so
dass der Glaube (Röm 6,18
–
7,6; 8,2.21) wie das Gewissen (Röm 2,4–8; vgl.
13,5) als Orte der Freiheit markiert werden.
Für die Neuzeit ist hingegen menschliche Freiheit in wichtigen philoso-
phischen Strömungen (Carter/Kramer/Steiner 2007) Unabhängigkeit von
Gott. Zu fragen ist, welches Gottesbild diese Konsequenz zeitigt und wel-
ches Freiheitskonzept dadurch entsteht. Die Antwort fällt differenziert aus.
Philosophisch ist es der aufgeklärte Deismus (Baert 2010), der sich eine
metaphysische Determination der Natur dachte, so dass sich Freiräume des
Denkens und Handelns nur dann zu öffnen schienen, wenn der Gottesfak-
tor minimiert wurde.
Theologisch muss zwischen konfessionellen Faktoren differenziert wer-
den. Bei den Reformierten wurde die Prädestination eingangs der Neu-
zeit auf eine Weise betont, dass sie mit Emanzipation nicht vermittelbar
schien und es deshalb besser scheinen mochte, gar nicht von Vorsehung zu
sprechen. Bei den Lutheranern wurde die Anthropologie im Zuge des simul
iustus et peccator so schwarz eingefärbt, dass der Blick auf das eigene Ich
nur den todeswürdigen Sünder erkennen durfte, während die Arbeit, die
Verantwortung, die Selbstverwirklichung des Menschen von der Gottes-
beziehung gelöst wurde. Bei den Katholiken wurde die Ethik während des
19. Jahrhunderts im Zeichen des Naturrechts derart rigide ausgelegt, dass
für das eigene Urteil der Menschen kein Platz mehr zu existieren schien.
Für die Neuzeit bedeutet menschliche Freiheit in wichtigen
philosophischen Strömungen Unabhängigkeit von Gott.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven