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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
Seite - 109 -
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110 | www.limina-graz.eu Reinhold Esterbauer | Zwischen Hoffnung und Gewalt und LĂŒder Deecke (Kornhuber/Deecke 1965) auf die Frage der Willensfrei- heit appliziert, diese selbst aber nicht leugnet, oft so, dass der freie Wil- le nicht nur ein zweideutiges Phantom sei, sondern eine SelbsttĂ€uschung des Menschen. Nach Gerhard Roth ist es korrekt, wenn Neurobiologinnen und Neurobiologen mit Bezug auf die Willensfreiheit behaupten: „,Nicht mein bewusster Willensakt, sondern mein Gehirn hat entschieden!‘“ (Roth 2004, 227) Eine solche Behauptung steht einerseits vor der Schwierigkeit, dass mein Gehirn statt meiner selbst Freiheit haben mĂŒsste, weil es sonst selbst nicht entscheiden könnte, und andererseits vor dem Problem, dass neurobiolo- gisch feststellbare Ursachen nicht als BeweggrĂŒnde fĂŒr Handlungen aus- gelegt werden können.1 DarĂŒber hinaus bleibt zu fragen, worin die von An- ders beschriebene TĂ€uschung denn nun liege, die das Phantom Freiheit aus seiner Zweideutigkeit in die Eindeutigkeit bloßen Scheins – und nicht in die Eindeutigkeit bloßer Wirklichkeit – transformiert. Es kann sich – so viele Neurobiologinnen und Neurobiologen – nur um eine SelbsttĂ€uschung handeln, die es möglicherweise aus sozialen GrĂŒnden vorteilhaft erschei- nen ließ, dass man Personen Freiheit zubilligte, obwohl sie nach neurobio- logischer Auskunft keine haben. Von bewusster TĂ€uschung lĂ€sst sich allerdings kaum sprechen, wenn Eltern , Lehrerinnen oder Erzieher, die angeblich eigener SelbsttĂ€uschung unterliegen und meinen, sie seien frei, Kinder so erziehen, als seien auch sie frei. Meiner Ansicht nach liegt die TĂ€uschung nicht darin, dass Men- schen irrtĂŒmlich von ihrer eigenen Freiheit ausgehen, sondern darin, dass man von neurobiologischer Seite behauptet, man könne Organen wie dem Gehirn Entscheidungskraft zuschreiben, indem man es plötzlich und un- vermittelt mit personalen statt mit naturwissenschaftlichen Katego rien beschreibt. Denn wenn nicht das Ich entscheidet, sondern das Gehirn vor- weg schon entschieden hat (Roth 2004, 229), das Ich sich diese „Tat“ aber in SelbsttĂ€uschung zuschreibt, dann befĂ€nde man sich in der Situation, dass nicht ich mich entscheide, sondern dass gleichsam zwei „Iche“  – das sich tĂ€uschende Ich und das Gehirn-Ich – miteinander in Beziehung tre- ten. Ginge man von einer so absurden Konstellation aus, wĂ€re die Frage nach der Freiheit zwar beendet, lebensweltlicher Wirklichkeit aber Gewalt 1 Zur philosophischen Kritik an Ă€hnlich lautenden neurobiologi- schen Versuchen, Freiheit zu leug- nen, siehe grundsĂ€tzlich Pöltner (2009). Die TĂ€uschung liegt nicht darin, dass Menschen irrtĂŒmlich von ihrer eigenen Freiheit ausgehen, sondern darin, dass man Organen wie dem Gehirn Entscheidungskraft zuschreibt.
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
2:2
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
267
Kategorien
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