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Hildegard Wustmans | Missbrauch â die Verspottung der Freiheit
âdass sich ein âSeelenfĂŒhrerâ in der Seele eines anderen Menschen fest-
setzt und sie nach seinem Willen steuern will; er besetzt sie als Aufpas-
ser, als ihr Kontrolleur; gibt ihr seinen Willen als ihren Willen vor; nimmt
die Gottesposition in der religiösen IntimsphÀre der anvertrauten Person
ein.â (Mertes 2018, 39)
Dann mutiert die geistliche Begleiterin/der geistliche Begleiter von einer
Person mit AutoritÀt zu einer Person, die ihre Macht schamlos und un-
verschÀmt ausnutzt. (Vgl. Sander 2019) Doris Wagner beschreibt diesen
Prozess eindringlich und identifiziert dabei drei Formen von geistlichem
Missbrauch: spirituelle VernachlÀssigung, spirituelle Manipulation und
spirituelle Gewalt. (Vgl. Wagner 2019a) Ăhnlich ist das âFadenkreuz des
Missbrauchsâ (Kluitmann 2018, 29) zu verstehen, das von Sr. Katharina
Kluitmann entworfen wurde. Damit machen beide Autorinnen darauf auf-
merksam, dass der MissbrauchstÀter/die MissbrauchstÀterin langsam und
in der Regel wohlĂŒberlegt vorgeht. Missbrauch wird (vielfach) kalt geplant.
Am Beginn des Missbrauchs steht die Beziehung, in die sich Grenzverlet-
zungen einschreiben. âGeistlicher Missbrauch ist die Verletzung des spiritu-
ellen Selbstbestimmungsrechtes. Durch diese Verletzung werden Menschen
in spirituelle Not gebracht.â (Wagner 2019a, 79 [Hervorhebungen: im Ori-
ginal]) Dabei zeichnet sich spirituelle VernachlÀssigung dadurch aus, dass
Menschen nicht die UnterstĂŒtzung zukommt, die sie jedoch benötigen, um
handlungsfÀhig zu werden. Bei spiritueller VernachlÀssigung wird nicht
auf die BedĂŒrfnisse der zu begleitenden Person eingegangen, wird die Le-
bensrealitÀt ausgeblendet und werden spirituelle Ressourcen angeboten
und ihre EinĂŒbung verlangt, die fĂŒr die Person gerade nicht passend sind.
(Vgl. Wagner 2019a, 82) Wer spirituell vernachlĂ€ssigt wurde, ist anfĂ€llig fĂŒr
spirituelle Manipulation. Er oder sie hat keinen Zugang zu den verschiede-
nen spirituellen Ressourcen und ist auch nicht dazu befÀhigt worden, spi-
rituelle Angebote zurĂŒckzuweisen, wenn sie ihm/ihr nicht hilfreich sind.
(Vgl. Wagner 2019a, 101)
âSpirituelle Manipulation liegt dann vor, wenn die spirituelle Freiheit
der begleitenden Person nicht einfach unausgebildet bleibt â wie im Fall
spiritueller VernachlĂ€ssigung â [...], sondern subtil mit Hilfe verschiede-
ner Techniken untergraben wird. Wer jemand anderen spirituell mani-
puliert, macht ihn glauben, er habe selbst und aus freien StĂŒcken auf
Missbrauch wird vielfach kalt geplant.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 2:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 267
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven