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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
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170 | www.limina-graz.eu Franz Winter | Hat neben Gottes Allmacht der freie Wille noch Platz? im Koran ganz mit dem Wirken und Wollen Gottes verbunden wird (Sure 63,11): „Aber Gott wird niemandem Aufschub gewähren, wenn seine Frist kommt.“ Ähnlich auch an anderer Stelle (Sure 6,2): „Er ist es, der euch aus Lehm geschaffen hat und hierauf (für euer Leben) eine Frist bestimmt hat. Eine bestimmte Frist ist bei ihm (unabänderlich festgelegt).“5 Hier klingt nun bereits ein Thema an, das für die nachfolgende religiöse Entfaltung ganz zentral werden wird, nämlich dass es eine bereits vorlie- gende Aufzeichnung allen Geschehens gäbe, ein „Buch“ (kitāb), in dem al- les enthalten ist, wie etwa in folgender Formulierung (Sure 57,22): „Kein Unglück trifft ein, weder (irgendwo) auf der Erde noch bei euch selber, ohne dass es in einer Schrift (verzeichnet) wäre, noch ehe wir es erschaffen.“ Diese Vorstellung von einem primordialen Buch bezog sich ursprünglich mehr auf das eschatologisch zu erwartende Ergebnis der Taten jedes Men- schen (beim Endgericht), umfasste dann aber in einem immer größeren Ausmaß auch die Taten selbst, die alle bereits aufgezeichnet vorliegen (vgl. Sure 17,3–4.71; 45,28–29; 84,7–12), bzw. überhaupt alles, was geschieht (vgl. v.  a. Sure 6,59). Diese Vorstellung von einer bereits voranfänglich fi- xierten und unveränderbaren Festlegung der Geschehnisse dieser Welt und vor allem der Taten jedes einzelnen Menschen ist dann im Koran mit Begriffen wie „Mutter des Buches“ (umm al-kitāb), „verborgenes Buch“ (kitāb maknūn) oder „behütete Tafel“ (lauḥ maḥfūz) verbunden. Das dahinterliegende Konzept bezieht sich sowohl auf die Vorstellung einer Quelle bzw. eines Ausgangspunktes (aṣl) als auch der Gesamtheit (jumla) aller Offenbarungen, einschließlich des Koran, aber auch als Aufzeichnung aller Dinge, die seit der Schöpfung geschehen sind und alles, was bis zum finalen Tag noch geschehen wird (zur Genese dieser spezifischen Vorstel- lung vgl. Nagel 1983; Madigan 2004). Mit der Vorstellung von einer defi- nitiven „Nacht der Bestimmung“ bzw. der „Nacht der Macht“ (lailat al- qadr),6 in der der Koran als Ausfluss dieser überirdischen Aufzeichnungen herabgesandt wurde, erfährt dieser Vorstellungskomplex zudem eine frühe rituelle Konkretisierung in der islamischen Gemeinde (vgl. Sure 97). Mit diesen Inhalten sind selbstredend Konzepte verbunden, die das Mo- ment der Vorherbestimmung allen Geschehens einschließlich der Taten der Menschen stark in den Vordergrund rücken. Mit allen diesen Themen wird allerdings noch nicht die Frage nach dem menschlichen Anteil in die- sem Zusammenhang angesprochen. Streng deterministisch könnte bei- Ein „Buch“ (kitāb), in dem alles enthalten ist 5 Allah als Herr der Zeit bzw. über- haupt als gleichgesetzt mit „Zeit“ (dahr), tritt in der Hadith-Literatur an prominenter Stelle in Form eines ḥadīth qudsi (d.  h. einer direkten Aussage Allahs) entgegen und for- muliert gegen „die Söhne Adams“, die die „Zeit missbrauchen“, dass Allah selbst die „Zeit“ ist: „ich bin die Zeit“ (ana ad-dahr); vgl. Graham 1977, 212–214, mit der Übersetzung dieses Textes: „God said: ‚The son of Adam vexes Me when he curses Time, for I am Time! In my hand is the command [of all things]. I cause the night and day to follow one upon the other‘“; und weiteren Variatio- nen. 6 Zu den unterschiedlichen Über- setzungen und Interpretationen des Begriffs qadr, die schon in der islamischen Tradition zwischen „Kraft“, Bestärkung“ (und damit zu qudra) oder „göttliche Vorbestim- mung“ (und damit zu qadar) oszil- lierte, vgl. Sells 1991, 255 mit Fn. 50. Eine Art Kompromissinterpretation bei Lohmann 1969, 280: „Die Nacht Al-Qadr ist nicht nur eine ganz be- stimmte, im Heilsplan Gottes von Anfang an genau festgesetzte Nacht, in der mit der Herabsendung des Korans an Muhammed begonnen worden ist, sondern auch die Nacht, in der das weitere Schicksal von Welt und Mensch in allen Einzelheiten festgelegt wird.“
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 2:2
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
2:2
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
267
Kategorien
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