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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
damit also den Schein, den wir erzeugt haben, und lĂŒgen uns ein zweites
Mal an, wenn wir an die RealitĂ€t dieser Scheinwelten glauben.â (Negele
2000, 22)
Zwar schwĂ€cht Negele diese Position vor dem Hintergrund der Ăberlegung
ab, dass eine vollstĂ€ndige Gewissheit ĂŒber die Wirklichkeit der âechtenâ
Welt nie ganz zu haben sei, doch auch bei ihm bleibt es bei einer gewissen
Unentschiedenheit in Bezug darauf, was nun Schein oder Sein am Virtu-
ellen sei und wie entschieden werden könne, worum es sich handle (vgl.
Negele 2000, 29â31).
Es herrscht also einiges an Unsicherheit beim Begriff des Virtuellen, insbe-
sondere wenn es um digital erzeugte virtuelle Welten geht. Diese Begriffs-
verwirrung ist einer allgemeinen UnschÀrfe geschuldet, die auch mit der
Verwendung des Begriffs im anglo-amerikanischen Sprachraum zusam-
menhÀngt, durch die theologischen Wurzeln des Begriffs und seine heutige
Verwendungsweise nochmals gröĂer wird und die das Virtuelle irgendwo
zwischen Sein und Schein sieht (vgl. MĂŒnker 2005, 244). Auch Frank Hart-
mann, der der Digitalisierung eher positiv gegenĂŒbersteht, geht davon aus,
dass es angesichts der Weise, wie digitale Inhalte wahrgenommen wer-
den, âwohl keinen Sinn mehr macht, die traditionelle Differenzierung von
Schein und Wirklichkeit aufrecht zu erhaltenâ (Hartmann 2018, 118â119).
Gegen die Entgegensetzung von Virtuellem und Realem hat Pierre LĂ©vy in
seinem Beitrag âWelcome to Virtualityâ dafĂŒr plĂ€diert, das Virtuelle nicht
als Gegensatz zum Realen zu verstehen, sondern zum Aktuellen. Ein Com-
puterspiel oder eine Simulation, wie sie durch Virtual-Reality-Program-
me möglich wird, versteht LĂ©vy als âvirtual messagesâ (LĂ©vy 1997, 6), die
fĂŒr einen Benutzer oder eine Benutzerin durch die Ăbersetzung des Bi-
nĂ€r-Codes mithilfe eines Computers verstehbar werden. Wenn diese Ăber-
setzungsarbeit noch nicht geleistet ist und die durch das Programm zu er-
zeugenden Bilder einem User (Nutzer/in) noch nicht zugÀnglich sind, dann
mĂŒsse man das gespeicherte Bild als virtuell verstehen. Dementsprechend
versteht LĂ©vy unter Virtualisierung âdigitalisationâ (LĂ©vy 1997, 6) und die
Aktualisierung als Anzeige am Monitor oder âdisplayâ (LĂ©vy 1997, 6).
Die Frage nach der RealitĂ€t des Virtuellen stellt sich fĂŒr LĂ©vy dabei nicht
mehr, sondern diese wird als selbstverstĂ€ndlich vorausgesetzt. Zentral fĂŒr
seine Auffassung des Virtuellen ist der mediale Charakter des Virtuellen,
Oder stellt sich die Frage nach der RealitÀt des Virtuellen nicht mehr?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven