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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
Singularitäten, die sie verkörpern. Die Aktualisierung, die Differenzie-
rung ist in diesem Sinne stets eine wirkliche Schöpfung. (Deleuze 2007,
268)
Von Deleuze her muss also das Entstehen einer digitalen Welt als ein Pro-
zess verstanden werden, der nicht als ein Kopieren der natürlichen Welt
verstanden werden darf, sondern als eine Schöpfung, die ihren Sinn inner-
halb ihrer selbst und nicht in Referenz auf die „echte“ Welt hat. Die digi-
talen Welten kann man so nicht als Scheinwelten verstehen, die in einem
Gegensatz zur „echten“ Welt stehen, sondern sie müssen vom Prozess der
Aktualisierung des Virtuellen in der Struktur des Digitalen her verstanden
werden. Sie sind keine Schöpfungen in einem luftleeren Raum, sondern
müssen von einer gewissen Zielhaftigkeit des Virtuellen verstanden wer-
den:
„Das Virtuelle besitzt die Realität einer zu erfüllenden Aufgabe, nämlich
eines zu lösenden Problems; das Problem ist es, das die Lösungen aus-
richtet, bedingt, erzeugt, diese aber ähneln nicht den Bedingungen des
Problems.“ (Deleuze 2007, 268)
Hier wird nochmal deutlich, wie wichtig der Prozess der Differentiation ist,
um die Differenzierung als Schöpfung zu verstehen. Denn ohne den Hinter-
grund des Problems haben die Lösungen keinen Anhalt und sind Antwor-
ten auf Fragen, die niemand stellt. Sie haben keinen Sinn, da sie von außen
einer Struktur zugetragen werden, die diese Fragen nicht in ihrem Inneren
zur Entfaltung bringt. Man kommt der Struktur und dem Sinn der digitalen
Welten weitaus näher, wenn man fragt, welches Problem sie zu lösen su-
chen und welche Idee sich in ihnen aktualisiert.
Auch die digitalen Welten muss man in diesem Sinne als reale Welten ver-
stehen. Sie sind so virtuell, wie es die natürliche Welt auch ist, und eben-
so real wie diese; doch es aktualisiert sich die Idee des Digitalen in ihnen,
nicht das Natürliche. Im Gegensatz zur natürlichen Welt sind sie Schöpfung
anderer Art: Sie sind menschlich-maschinelles Erzeugnis, dessen Bestehen
prinzipiell jederzeit beendbar ist und kein Erzeugnis eines gottgleichen
Developers (Entwickler/in). Die Struktur des Digitalen unterscheidet sich
grundlegend von der Struktur des Natürlichen, und das Einebnen dieser
Man kommt dem Sinn der digitalen Welten näher,
wenn man fragt, welche Idee sich in ihnen aktualisiert.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven