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Daniel Pachner | Wirklichkeit und Erfahrbarkeit digitaler Welten
Zieht man eine Parallele zwischen dem Buch als Medium und den digitalen
Medien, fallen einige Besonderheiten auf. Zum einen braucht es das beson-
dere Vermögen des Lesens, das verinnerlicht sein muss, damit man in die
Situation der Geschichte und damit in ihre Welt versetzt werden kann. Das
Aufsetzen der Brille als magisches Mittel, das die Welt der Geschichte zum
Erscheinen bringt, misslingt beim Lesen, stellt aber gerade den Prozess
dar, der beim Aufsetzen einer Virtual-Reality-Brille ablÀuft. Hier braucht
man keinerlei Vorkenntnisse oder erlernte FĂ€higkeiten, um diesen digital
erzeugten Raum zu erfahren. Die FÀhigkeiten, die es zum Erfahren-Kön-
nen einer digitalen Welt braucht, nimmt das Interface dem User ab (vgl.
Hartmann 2018, 124â125).
Das Interface vervielfacht die Vermittlungsweisen von Inhalten, weil es
nicht an eine bestimmte mediale Form gebunden ist, sondern am mensch-
lichen Körper âandocktâ. Das Buch hingegen analysiert nicht und verwer-
tet keine Informationen: Das Erscheinen der Welt der Geschichte ist vom
Menschen abhÀngig, wird nicht benutzerfreundlich gestaltet und wartet
nicht auf Feedback, um seine Funktion besser zu erfĂŒllen. Verfechter der
neuen Entwicklungen wie etwa Hartmann verwehren sich zwar dagegen,
das Interface als eine âEntmĂŒndigung der Nutzerâ (Hartmann 2018, 124)
zu verstehen. Aber der besondere Ansatzpunkt vieler Interfaces an Sinnes-
vermögen der meisten Menschen wie Sehen, Hören oder auch Tasten (vgl.
Gent 2019) und weniger an intellektuellen Anforderungen â der Wandel
von LiteraritĂ€t zur ââelectric stimulationââ (Hartmann 2018, 140) â drĂ€ngt
den Menschen zunehmend in eine reagierende Position und gibt eine be-
stimmte Art der Interaktion vor. Der Schritt zum Ver-Leiten liegt sehr nahe
(vgl. Voss 2020).
Die Grenzen des Interfaces bestimmen nicht nur die Grenzen der Erfahrbar-
keit digitaler Welten, sondern auch ihre Manipulierbarkeit, die man heute
als User immer mehr aus der Hand gibt. Dies reicht von KaufvorschlÀgen,
die bei Amazon etwa Algorithmen erstellen und dem Unternehmen bis zu
35 Prozent an VerkÀufen sichern (vgl. Laaff 2019), bis zu der unglaublich
aufwÀndigen Schaffung eines vom Rest der Welt unabhÀngigen Internets,
das in China dem einfachen BĂŒrger eine mediale Welt vortĂ€uscht, die es nur
dort gibt (vgl. Arte.tv/Hikari 2019).
Das Interface ist nicht an eine bestimmte mediale Form gebunden,
sondern es âdocktâ am menschlichen Körper âanâ.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven