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LIMINA - Grazer theologische Perspektiven
Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
Seite - 77 -
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77 | www.limina-graz.eu Herbert Hrachovec | Omnipräsenz / Telepräsenz Eine maßgebliche Weiterführung des augustinischen Ansatzes findet sich bei Thomas von Aquin. Er verschiebt die Blickrichtung vom biblischen Be- fund und der platonischen Seelenlehre zur Frage nach Gottes Eigenschaf- ten. Wir unterscheiden in unserem Verständnis von Dingen zwischen deren unerlässlichen und deren fakultativen Beschaffenheiten. Nach Aristoteles korrespondieren dieser Differenz Wesensbestimmungen und akzidentelle Eigenschaften im Rahmen der Seinsordnung. Durch die- se begriffliche Schärfung wird aus dem plotinisch-augustinischen Prob- lem eine Untersuchung darüber, was aus dem Wesen Gottes für das We- sen seiner Schöpfung folgt. Da Gott essentiell Sein ist („sit ipsum esse per suam essentiam“, Thomas v. Aquin, Summa Theologiae I, 8, 1), muss das geschaffene Sein von ihm bewirkt werden („oportet quod esse creatum sit proprius effectus eius“, ebd.). Und da sich die Ursache mit ihrer Wirkung notwendig verknüpft, ist Gott prinzipiell „in“ allen Dingen. Thomas fragt weiter. Bedeutet das auch, dass er überall ist? Er beginnt mit Einwänden. Das Wort bezieht sich auf alle Orte, an denen Körper platziert sein können. Als in sich unteilbares, immaterielles Wesen, kann sich Gott in dieser Hin- sicht nicht auf die Details der Welt einlassen. Die Replik auf diese Bedenken folgt dem von Augustinus vorgegebenen Muster, nur dass dessen biblischer „Jesus Christus“ durch die onto-theologische Konstruktion Gottes ersetzt wird. Die Doppelqualität der hypostatischen Union wird in eine Doppeldeu- tigkeit des Körperbegriffes übersetzt.5 Materiell ist nicht bloß die fassbare Welt, sondern auch, in einem davon zu unterscheidenden Verständnis, die unfassbare Wirkung auf die in ihr greifbaren Dinge. Geistiges wirkt nicht durch seine körperliche Ausdehnung, sondern durch seine Kraft „per con- tactum virtutis“6, und Gott als höchste Form des Geistes ist überall, so- fern er Dingen allerorten Sein und Existenz verleiht.7 Die derart konzipier- te Zweifachverwendung bleibt in der Folge die Lösung und das Rätsel der scholastischen Reflexion. In der Fachliteratur wird dieser Themenkomplex noch immer lebhaft diskutiert. Einige Beispiele seien genannt. Im Cambridge Companion to Christian Philo­ sophical Theology beginnt William J. Wainwright (Wainwright 2010) seine Ausführungen zur „omnipresence“ unvermittelt mit einer Diskussion des Themas in Thomas’ Summa Theologiae. Er referiert den Forschungsstand betreffend Gottes Verkörperung („embodiment“), in dessen Zentrum die Gott ist „in“ allen Dingen. Bedeutet das auch, dass er überall ist? 5 „incorporalia non sunt in loco per contactum quantitatis dimensivae, sicut corpora: sed per contactum virtutis.“ (Summa Theologiae I, 8, 2 ad1) („quantitas dimensiva“: quan- titative Ausdehnung) 6 Siehe Anmerkung 5. Thomas unterscheidet die „Berührung durch Kraft“ von der Berührung zwischen Körpern. Der begriffliche Kontext wird in der Beantwortung der Frage, ob Engel sich im Raum bewegen können, deutlicher. In Summa Theologiae I, 45: „De motu locali angelorum“ wird unter der Kapazität, sich gleichzeitig an meh- reren Orten aufzuhalten, nicht die körperlich verstandene Anwesen- heit, als „motus qui est secundum applicationem virtutis“ (I, 45, ad 2) verstanden. Diese, im Verhältnis zu materieller Kraft äquivoke, Rede von einer höherstufigen „virtus“ klingt in „virtuellen Realitäten“ nach. Vgl. Anmerkung 4. 7 „per hoc replet omnia loca, quod dat esse omnisbus locatis, quae re- plent onmia loca“ (I, 8, 2).
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Limina Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
Titel
Limina
Untertitel
Grazer theologische Perspektiven
Band
3:2
Herausgeber
Karl Franzens University Graz
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 4.0
Abmessungen
21.4 x 30.1 cm
Seiten
270
Kategorien
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