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Herbert Hrachovec | Omnipräsenz / Telepräsenz
von Terroristen in der afghanischen Provinz Uruzgan“. Und nehmen wir
an, jemand fragt ungläubig, wie das möglich sei. Niemand könne sich an
zwei Tausende Kilometer entfernten Orten gleichzeitig befinden. Im Krieg
der Drohnen ist die Antwort einfach. 2010, als die angeführte Exe
kution
(von Zivilisten) tatsächlich stattfand (Zuccino 2010), vermittelte Tele-
präsenz zwischen der Drohnensteuerung in Nevada, der Datenanalyse in
Florida und einem Hubschrauberpiloten vor Ort. Inzwischen vereinfachte
sich die Kausalkette. 2019 wurden dreißig Bauern in Nangargar direkt von
einer Drohne ermordert (US drone strike 2019). Die Waffe ist mit Senso-
ren, Transmittern und Triggermechanismen ausgestattet, ein translokales
Kampfgerät.
Dardanus, der gallische Präfekt, rätselte über die simultane Anwesenheit
Jesu Christi an zwei Orten. Für „Dardanus“, den US-Soldaten, ist die prak-
tisch zeitgleiche, verdoppelte Lokalisierung seiner Handlungen kein Pro-
blem. Eine Raum-Zeit-Anomalie, wie sie einstmals in der religiösen Ver-
heißung auftauchte, steht in der Kriegsführung des 21. Jahrhunderts auf
der Tagesordnung. Als Kennbild des globalen Überblicks diente in früheren
Zeiten das Auge Gottes. Es ist von einem an Satelliten gekoppelten Radar-
schirm ersetzt worden. Die Frage, wie man diese Ortsbestimmung verste-
hen soll, ist damit allerdings noch nicht geklärt.
Es sträubt sich etwas beim Gedanken der Bilokation eines Individuums,
selbst wenn es an beiden Stellen mit zentralen körperlichen Fähigkeiten
(Sehen, Hören, Navigieren, Interagieren) „anwesend“ ist. In den 90er-
Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat man die digital vernetzte Tele-
kommunikation als Dimension einer neuen Transzendenz gefeiert, die alle
räumlichen und kulturellen Grenzen übersteigt. Dirk Baecker erläutert:
„Ein Netzwerk ist etwas, wo alles das, was funktioniert, nur über strikt
nachbarschaftliche Relationen passiert.“ (Baecker 1990, 128) Der Compu-
ter ermöglicht „dabei in zunehmendem Maße die ‚Transzendierung‘ des
Raumes zum ‚künstlichen Raum‘“ (Becker 1991, 251). Im darin stattfin-
denden Verschwinden von Entfernung und Distanz werden nach Florian
Rötzer „alle Grenzen zwischen Kulturen beseitigt“ (Rötzer 1995, 126). Die
Ansprüche sind hoch gegriffen und so verwundert auch die Ausrufung einer
biotechnischen Theologie durch Roy Ascott nicht.
Eine Raum-Zeit-Anomalie steht in der Kriegsführung
des 21. Jahrhunderts auf der Tagesordnung.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven