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Herbert Hrachovec | OmniprÀsenz / TeleprÀsenz
fassung fehlt ein entscheidender Punkt. TeleprĂ€senz ist kein âfiktional ge-
nerierter Raumâ, auch wenn die StĂ€tten dieser âRealitĂ€tenâ phantasievoll
ausgeschmĂŒckt sein mögen. Sie ist keine Cyperpoesie, sondern eine Kom-
munikationsform leibhaftiger Personen auf der Basis digitaler Vorrichtun-
gen. Die sensorische Ausstattung âalltagsrealerâ Körper erweitert sich zu
einem interaktiven Steuerungsorgan im Rahmen einer material fundier-
ten Welt. StromausfÀlle setzen der virtuellen RealitÀt ein jÀhes Ende. Es
empfiehlt sich darum, zu ihrem VerstÀndnis im informationstechnischen
Kontext auf den dezidiert unmetaphysischen Gebrauch zurĂŒckzugreifen,
den die Computerwissenschaft von diesem Begriff macht. Virtuell nennt
sie einen Zusammenhang, in dem die Wirkung eines physikalisch vorlie-
genden Werkteils oder GerÀtes funktionsÀquivalent von einer Software-
konstruktion ĂŒbernommen wird. Die Wirkweise eines Ausgangssystems
wird in einem Zielsystem zufriedenstellend reproduziert (Hrachovec 2002).
Die ZuseherInnen im Fernsehen, um auf das obige Beispiel zurĂŒckzugrei-
fen, sind bei der Protestkundgebung anwesend, sofern das Kriterium der
Protestkundgebung in der Teilnahme durch Sehen und Hören besteht. Die-
se FunktionalitÀt vermag die Technik zu reproduzieren. Ausgespart bleibt,
was das Ausgangssystem, abgesehen vom Kriterium, sonst noch charakte-
risiert.
Anders gesagt: Virtualisierung reglementiert einen Handlungszusammen-
hang im Interesse einer spezifischen Aufgabe. Der Ausgangspunkt sei eine
Dorfgemeinschaft, dann spricht man von einem âglobalen Dorfâ im Hin-
blick darauf, dass verschiedene, in bestehenden Dörfern zu beobachtende
Eigenschaften im Medium des World Wide Web nachgebildet werden kön-
nen: Rufweite, ungenierter Meinungsaustausch, Direktkommunikation,
Nachbarschaftshilfe. Es wĂŒrde niemandem einfallen, vom globalen Dorf zu
erwarten, dass es die Spezifika von Pueblos, Oasen oder Marktflecken wie-
dergibt. Derselben Logik entsprechend liegt der individuelle Körper auĂer-
halb der Reichweite der TeleprÀsenz.
Blickt man von diesem Befund aus zurĂŒck auf die Vorstellung von Omni-
prÀsenz, ist leicht zu sehen, dass die Zusammenstellung von MaterialitÀt
und Technik mit dem Amalgam von Christentum und griechischer Philo-
sophie einer LuftbrĂŒcke gleichkommt.
Virtualisierung reglementiert einen Handlungszusammenhang
im Interesse einer spezifischen Aufgabe.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven