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Herbert Hrachovec | Omnipräsenz / Telepräsenz
Während Gott nach christlicher Lehre ein dem Menschen zugewandtes,
geheimnisvoll allmächtiges Wesen ist, ist der Mensch eine Abstraktion.
Man kann sie auch als Geheimnis auffassen, doch vom Geheimnis Gott un-
terscheidet sie sich deutlich. Das eine kennzeichnet (in der jüdisch-christ-
lichen Tradition) einen „Schöpfer des Himmels und der Erde“ als uner-
gründliche Person. Der Begriff vom Menschen hingegen ist von der Erdbe-
völkerung abgeleitet und muss damit auch die Scheußlichkeiten abdecken,
zu der die zugehörigen Einzelfälle bei Gelegenheit in der Lage sind. Theo-
dizee, die sich auf die letztlich unbegreifliche Güte Gottes beruft, hat kein
Pendent in der Anthropodizee, es sei denn, sie eignet sich die theologische
Hoffnung auf Erlösung an. Aber damit hängt sie in der Luft. Die Erwartun-
gen, die in Gott als ultimativen Richter und Erlöser gesetzt worden sind,
kann „das Menschengeschlecht“ nicht erfüllen. Die Leerstelle, die sein Ab-
gang aufreißt, kann es nicht abdecken. „Ihr werdet sein wie Gott“ ist ein
fehlkonstruiertes Versprechen. Gesetzt, dass Gott tot ist, besteht die Auf-
gabe nicht darin, ihn in seiner Machtvollkommenheit zu beerben, sondern
damit zurechtzukommen, dass eine Gottesposition nicht zur Verfügung
steht.
Wem kann also, das ist abschließend die Frage, Omnipräsenz und/oder Te-
lepräsenz zugeschrieben werden? Allgegenwärtig ist der eine Gott, Schöp-
fer und Erlöser; telepräsent sind einander TeilnehmerInnen an der welt-
weiten elektronischen Kommunikation. Die eine Antwort kommt aus dem
Glauben, die andere aus Informatik, Medientheorie und letztlich aus der
Politik. Böhmes Formel vom „Cyberspace als technischer Form Gottes“
vergöttlicht Technik im gleichen Atemzug, in dem sie Gott eskamotiert. Es
ist nicht unwahrscheinlich, dass Böhme seine Formulierung als kritische
Intervention versteht. Im Blick auf die Körperfeindlichkeit der Gnosis be-
merkt er nämlich: „Selbstvergottung setzt die Apokalypse der Erde vor-
aus.“ (Böhme 1996b, 9) Das Fazit seiner Technifizierung Gottes verheißt
nichts Gutes.
Hartmut Böhme verbindet Gott und Cyberspace als zwei Mythologeme. Auf
diesem Weg ist vieles erlaubt. Legt man striktere Maßstäbe für die Kohärenz
zwischen den beiden Themenkreisen an, scheitert die Verbindung auf zwei
unterschiedliche Weisen. Für die gläubige Sichtweise ist ausgeschlossen,
dass der Mensch Gott beerbt. Wenn sie sich umgekehrt in der Technolo-
gie erfüllt, wird diese Tradition zur (blumigen) Reminiszenz. Im Christen-
Wem kann also Omnipräsenz und / oder Telepräsenz zugeschrieben werden?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven