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Christian Wessely | Wie spricht ein Geist zum anderen Geist?
bei auch von allem „Es“ – der Objektwelt – zu unterscheiden ist.21 Im An-
schluss an Martin Buber (vgl. 2019, 40) und dessen entscheidende Unter-
scheidung der Beziehungen Ich-Du und Ich-Es wäre zu fragen: Was ist die
notwendige Bedingung der Ausrichtung auf ein grundsätzlich präsentes
Du? Es gibt unterschiedliche Ansätze, diese Frage zu beantworten; sie sind
im Letzten reduzierbar auf weltimmanente und welttranszendente.22 Die
Entscheidung, den einen oder den anderen Ansatz zu wählen, ist in letz-
ter Konsequenz eine, die sich einer weiteren BegrĂĽndung entzieht, eine
Grundentscheidung, die getroffen werden muss. Der Grund dafĂĽr ist die
weltanschaulich notwendige Positionierung, die mit dieser Antwort ein-
hergeht und die ohne infiniten Regress oder zirkuläre Argumentation nicht
weiter begrĂĽndbar ist.
Eine notwendige Voraussetzung fĂĽr die Relevanz all dieser Begriffe ist je-
doch die Existenz von Freiheit und damit einhergehend eine realistische
Wahlmöglichkeit. Diese Wahlmöglichkeit darf nicht nur als eine zwischen
zwei oder mehr Optionen ähnlicher Natur gesehen werden, sondern sie
existiert auch da, wo lediglich eine binäre Entscheidung getroffen werden
kann, nämlich etwas Bestimmtes zu aktualisieren oder auch nicht. In einem
(auch nur indirekt) determinierten Setting haben Wahrheit, Vertrauen oder
auch Schuld keine echte Relevanz mehr. Unabhängig vom kontroversen
philosophischen Diskussionsstand zur Freiheitsproblematik möchte ich an
dieser Stelle ausdrücklich – und zwar aus lebenspragmatischen Gründen –
festhalten, dass für mich der intuitive und den Alltag erst ermöglichende
Zugang der realen Existenz von ontologischer Freiheit und korrespondenz-
theoretisch verstandener Wahrheit der einzig nachhaltig sinnvolle ist.23
Zweite Prämisse:
Der Vorgang der digitalen Kommunikation ist als abgeschlossener
Bereich zu betrachten.
Die folgende stark vereinfachte Zusammenfassung ist notwendig, um eine
Ahnung von der Komplexität zu vermitteln, die den von uns mit völliger
Selbstverständlichkeit gebrauchten Netzwerkdiensten zugrunde liegt.
Ohne Freiheit haben Wahrheit, Vertrauen
oder auch Schuld keine echte Relevanz mehr.
21 Mit Luckmann 2002, 140ff. wĂĽr-
de man in diesem Zusammenhang
von einer „mittleren Transzendenz“
sprechen.
22 Ein „weltimmanenter“ Ansatz
geht davon aus, dass alle Aspekte
existenzieller Fragen (vereinfacht:
Woher komme ich? Warum bin ich
da? Wohin gehe ich? Wozu bin ich
da?) beantwortet werden können,
ohne auf Erklärungsressourcen
zuzugreifen, die auĂźerhalb der un-
mittelbar erfahrbaren und der wis-
senschaftlich erschlieĂźbaren Wirk-
lichkeit liegen. Ein „welttranszen-
denter“ Ansatz greift in zumindest
einem Aspekt darĂĽber hinaus.
23 Ein guter Ăśberblick zu den As-
pekten der Freiheitsdiskussion wird
in Thurner 2017 geboten.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven