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Karl Stöger | Dürfen Maschinen menschliche Barmherzigkeit ersetzen?
Bundesländer grundsätzlich (mehr oder weniger deutlich) vor, dass Pflege
nur nach dem „Stand der Pflegewissenschaft“ betrieben werden darf; die
Zulassung von Produkten (einschließlich Medizinprodukten), die gesund-
heitsgefährdend sind, ist entweder verboten oder unterliegt strengen Auf-
lagen, bei auftretenden Problemen ist die Marktzulassung zu widerrufen.
Zweifellos könnten einige dieser gesetzlichen Vorgaben im Lichte des Fort-
schritts der Digitalisierung der Pflege noch klarer formuliert werden und
gerade auch auf digitale Pflegetechnologien ausdrücklich Bezug nehmen,
dennoch bieten sie bereits heute ausreichend Grundlage dafür, pflegewis-
senschaftlich kontraindizierte Digitalisierungsschritte zu unterbinden.
Aus den Grundrechten ergeben sich allerdings nicht nur Beschränkungen
der Digitalisierung der Pflege. Unter bestimmten Umständen könnte sich in
der Zukunft sogar die Verpflichtung zum Einsatz digitaler Pflegetechnolo-
gien ergeben, nämlich dann, wenn diese den Stand der Pflegewissenschaft
darstellen und ihre Nichtanwendung daher nachteilig für die pflegebedürf-
tigen Personen ist. Diesfalls müsste der Staat auf Grund seiner erwähnten
Verpflichtung zur Abwehr mangelhaft erbrachter Gesundheitsdienstleis-
tungen den Einsatz überholter Pflegemodelle überhaupt untersagen.
Digitalisierung der Pflege und Menschenwürde
Der „Stand der Pflegewissenschaft“ bildet aber nicht die einzige grund-
rechtliche Grenze. Der Einsatz digitaler Pflegetechnologien kann auch
dann, wenn er für sich keine nachteiligen Auswirkungen auf die Gesund-
heit eines Menschen hat, an rechtliche Grenzen stoßen. Man denke etwa
an „unsichtbare“ Überwachung oder medizinisch indizierte Freiheitsbe-
schränkungen. Im ethischen Diskurs bildet hier oft die Menschenwürde des
Einzelnen das zentrale Argument: Der Einzelne soll in der digitalen Pflege
nicht zum bloßen Objekt degradiert werden (Bioethikkommission 2018, 10;
Datenethikkommission 2019, 43). Dieses Gebot lässt sich freilich auch den
Grundrechten entnehmen, wobei die österreichische Rechtsordnung – im
Gegensatz etwa zur GRC oder dem deutschen Grundgesetz – kein Grund-
recht auf Wahrung der Menschenwürde als solches kennt. Die mit einem
solchen Grundrecht verbundenen Garantien lassen sich jedoch auch aus
Unter Umständen könnte sich in der Zukunft sogar die Verpflichtung
zum Einsatz digitaler Pflegetechnologien ergeben.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven