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Karl Stöger | Dürfen Maschinen menschliche Barmherzigkeit ersetzen?
anderen Grundrechten des österreichischen Bundesverfassungsrechts ab-
leiten (näher Kneihs 2014, §
9 Rz
59–72; Gamper 2019), was insoweit sogar
vorteilhaft ist, als die – auch juristische – Bestimmung des Bedeutungs-
gehalts des Schutzes der Menschenwürde nicht immer leicht ist. Der Salz-
burger Verfassungsrechtler Benjamin Kneihs hat dies gut auf den Punkt
gebracht:
„Von einem positiven Grundrecht mit konkret abgegrenztem Schutzbe-
reich hat der Einzelne vielleicht sogar mehr als von einem wohl klin-
genden Supergrundrecht, das – je nach Interpretation – alles und nichts
gewährleisten kann“ (Kneihs 2014, § 9 Rz 78).
Wenn man daher die zentralen österreichischen Grundrechtskataloge
des Staatsgrundgesetzes 1867 (StGG) und der EMRK durchsieht, so findet
man eine Reihe von Garantien, die einer Digitalisierung der Pflege „unter
Mißachtung der zu pflegenden Person“ Grenzen aufzeigen. Dies beginnt
damit, dass Art. 3 (Verbot der unmenschlichen Behandlung) und Art. 8
EMRK (Recht auf Achtung des Privatlebens) gerade eine grobe „Mißach-
tung der Person“ verbieten und damit insbesondere dem weitestgehenden
bzw. vollständigen Ersatz von menschlichen Kontakten durch künstliche
Pflege umgebungen entgegenstehen. Beraubt man einen Menschen wei-
testgehend der Interaktionsmöglichkeit mit anderen Menschen, ist dies
somit auch ein rechtliches Problem.
Über das rein Rechtliche hinausgehend wäre eine solche Situation aber
auch eine Verkennung des Zwecks digitaler Pflegebehelfe: Diese sollen
Pflegekräfte bei Routinetätigkeiten entlasten und ihnen damit die Mög-
lichkeit geben, sich stärker auf die Kommunikation mit den zu pflegenden
Personen konzentrieren zu können. Das Recht auf Achtung des Privatle-
bens enthält darüber hinaus aber noch eine generelle Verpflichtung des
Staates, die physische und psychische Integrität von Personen zu schützen.
So ist etwa der Einsatz von Pflegesystemen, die pflegerisch nicht indizier-
te Körperverletzungen herbeiführen (z. B. Wundliegen durch übermäßige
Bewegungseinschränkung), ebenso unzulässig wie jeder Einsatz von di-
gitalen Pflegesystemen gegen den Willen eines Betroffenen (zum Ganzen
näher Stöger 2020).
Schon heute wird die „Würde der zu pflegenden
Person“ durch die Rechtsordnung geschützt.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 3:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 3:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 270
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven