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Ulvi Karagedik | Ansätze für eine islamische Speiseethik gemäß den islamischen Primärquellen Koran und Hadith
den oder die Schlachtung anderer Tiere mit ansehen müssen (vgl. Ibn al
Ḥaddād 1983, Bd. 2). Nach der Schlachtung solle die Haut des Tieres nicht
abgezogen werden, ehe dieses erkaltet sei (vgl. Zuhayli 1994, Bd. 2.).
Die Frage nach einer religiösen Schächtung mit oder ohne Betäubung
An dieser Stelle ist es angebracht, die Frage nach dem islamisch-theologi-
schen Umgang mit Betäubungspraktiken in der Schlachtung zu behandeln.
Bei derartigen Schlachtprozessen kommen in der Regel Elektroschock,
Bolzenschuss oder Gasbetäubungen zum Einsatz (vgl. Holleben et al. 2010).
Während Schächtungen ohne Betäubung beispielsweise binnen zwei bis
zwanzig Sekunden zum Tod eines Schafes führen und ein adäquates Aus-
bluten der Tiere ermöglichen, kann durch Fehler beim Schnitt oder unzu-
reichendes Schlachtgerät unnötiges Leid für die Schlachttiere entstehen
(vgl. Holleben et al. 2010). Derartiges Leid kann jedoch genauso bei den an-
deren angewandten Betäubungsmethoden entstehen, wie eine Fachunter-
suchung unter Einbezug tierärztlicher Expertise und wissenschaftlicher
Analysen verdeutlicht:
„Alle Schlachtverfahren bergen das Risiko einer unsachgemäßen Aus-
rüstung oder des Fehlens ausreichenden Wissens oder entsprechender
Fertigkeiten. Sie sollten entweder auf der Basis einer Durchführung unter
optimalen Bedingungen oder unter Einschluss einer Evaluierung der
spezifischen Risiken in praxi miteinander verglichen werden […] [es] ist
besonders das Erkennen von Fehlbetäubungen erforderlich, und Maß-
nahmen zur Verhinderung einer ungenügenden Betäubungswirkung
müssen ergriffen werden.“ (Holleben et al. 2010, 71)
Während der Elektroschock ein Tier vorzeitig töten oder durch die Entste-
hung von Blutungen unnötig verletzen kann, vermag der Bolzenschuss das
Gehirn der Tiere zu zertrümmern und ebenfalls Blutungen auszulösen (vgl.
Çayıroğlu 2016).
Ohne die verschiedenen Schlachtmethoden (mit oder ohne Betäubung) und
ihre Risiken werten zu wollen, soll die Frage nun aus islamisch-speiseethi-
scher Perspektive beleuchtet werden: Frühe islamische Gelehrte, wie Abū
Ḥanīfa (gest. 767), sahen den Verzehr von Fleisch von verletzten Tieren
als erlaubt an, wenn die Tiere vor dem natürlichen Tod geschächtet wur-
den und mindestens noch einen Tag Überlebenschance gehabt hätten (vgl.
Çayıroğlu 2016). Dieses Kriterium kann zumindest bei der Bolzenschuss-
betäubung nicht gewährleistet werden, da die Tiere irreversibel verletzt
werden. Andererseits wird eine fachgerechte, nicht zum Tod führende und
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven