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Claudia D. Bergmann | Allein am Tisch?
die durchgeführten Rituale bestimmen die Traditionsweitergabe zwischen
den Generationen sowie die erwünschte Bedeutungszuschreibung des Ge-
schehenden, die von den Teilnehmenden verinnerlicht werden soll. Nathan
MacDonald unterstreicht:
„[F]ood is not merely a part of the past; it is also a means of remembe-
ring the past. […] Memories are formed within communities, and food is
one of the ways in which communities structure the past“ (MacDonald
2008, 71).
Mit Ritualen reist man also wie auf einer Gedankenbrücke in die Vergan-
genheit und in die Zukunft, ohne die Gegenwart zu verlassen.
Wenn das gemeinsame Mahl also viel mehr ist als gemeinsame Nahrungs-
aufnahme, weil durch das Rituelle in ihm Bedeutung symbolisiert, verin-
nerlicht, einverleibt wird, was geschieht dann, wenn Gemeinschaft nicht
mehr möglich ist und gemeinschaftliche Mähler nicht mehr stattfinden
können? Dieser Beitrag wird sich dieser Frage anhand von zwei Beispielen
widmen:
1. dem imaginierten Mahlgeschehen in antiken jüdischen Schriften,
bei dem das Mahl in der Kommenden Welt alle gefühlten und er-
lebten gesellschaftlichen und religiösen Probleme auflöst, und
2. den modernen Strategien zu Pessach 2020/5780, die Mahlgemein-
schaft in Zeiten einer Pandemie und der damit verbundenen Kon-
taktbeschränkungen aufrechtzuerhalten.
Gefragt wird, welche Modifikationen genutzt werden, um die Gemein-
schaftsidentität weiterhin aufrechtzuerhalten und traditionelle Gemein-
schaftsrituale eventuell auf anderer Basis weiter durchzuführen. Der Bei-
trag versucht, Mahlrituale und den Aspekt der Gemeinschaftsbildung in
Beziehung zu setzen, und stellt bewusst literarische Beispiele, die um die
Zeitenwende im jüdischen Kontext entstanden, neben moderne. Verbun-
den werden beide Kontexte durch ritualtheoretische Überlegungen zur Be-
deutung des gemeinschaftlichen Mahles unter schwierigen gesellschaft-
lichen, kulturellen und religiösen Bedingungen und durch ihren Bezug zum
Judentum in Geschichte und Gegenwart.
Mit Ritualen reist man in die Vergangenheit und
in die Zukunft, ohne die Gegenwart zu verlassen.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven