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Claudia D. Bergmann | Allein am Tisch?
Die Erwählung Israels durch Gott ist eine Idee, die in den Texten vom Mahl
in der Kommenden Welt recht selten vorkommt. Typisch sind aber die
Nennung von reichlichen Speisen, Sattheit und Zufriedenheit sowie einem
Zustand von Frieden unter denen, die die Kommende Welt genießen wer-
den können. Dieses sowie die Vernichtung des Feindes scheint auch eine
gewisse gedankliche Nähe zum biblischen Jes 25,6–8 herzustellen.
Das syrische Baruchbuch, entstanden wahrscheinlich etwa eine Generation
nach der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer, imaginiert die
Kommende Welt auf folgende Weise (2 Bar 29,3–8):
„3 Und dann wird es geschehen: Wenn das vollendet ist, was kommen
wird in diesen Zeitabschnitten, wird der Messias dann beginnen offen-
bar zu werden. 4 Und Behemoth wird sich offenbaren aus seinem Ort, und
Livjatan wird aus dem Meere kommen, zwei große Ungeheuer, die ich
schuf am fünften Tage der Schöpfung, die ich geschaffen habe und be-
wahrt bis hin auf jene Zeit. Die werden Nahrung sein für alle, die übrig
sind. 5 Auch wird die Erde ihre Früchte zehntausendfältig bringen. An
einem Weinstock werden tausend Reben sein, und eine Rebe trägt dann
tausend Trauben, und eine Traube tausend Beeren, und eine Beere gibt
ein Korb voll Wein. 6 Und die, die Hunger litten, sollen fröhlich sein und
(sollen) weiter (dann) an jedem Tag neue Wunder sehen. 7 Denn Winde
gehen aus von mir, um jeden Morgen den Geruch duftender Früchte her-
zutragen, am Ende des Tages aber Wolken, die heilungbringenden Tau
herniederträufeln. 8 Es wird zu jener Zeit geschehen, daß aus der Höhe
Mannaschätze wiederum herniederkommen; sie werden zehren dann
davon in jenen Jahren, weil die es sind, die ans Ende der Zeiten gekom-
men sind“ (Klijn 1976, 141–142).
Der Autor versucht mit diesem Text und mit seiner gesamten Schrift, Hoff-
nung in schwierigen Zeiten zu spenden, die er mit der Situation des Baby-
lonischen Exils vergleicht, was er u. a. durch die pseudonyme Zuschreibung
an „Baruch“ erreicht. Gesetzestreue sei es, die die Gerechten von der jet-
zigen konfliktbeladenen Welt in die Kommende Welt überwechseln ließe,
wo sie ein gemeinschaftliches Mahl in einem weltweiten Garten und mit
fantastischen Speisen aus der idealisierten Urzeit (die gefürchteten Urzeit-
wesen Leviathan und Behemoth sowie Manna) erwarte, wo es keinen Hun-
ger mehr gibt, sondern Wunder, Fülle und Frohsinn erlebt werden können.
Die körperliche Identität ist in der Gemeinschaft der Gerechten erhalten.
Die imaginierte Kommende Welt ist also ein Ort, wo sich Menschen mit tat-
sächlich vorhandenen Körpern befinden, wo sie diese Körper mit Beson-
derem nähren und gemeinsam den symbolischen Körper der endzeitlichen
Gerechten bilden.
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven