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Isabelle Jonveaux | Transfers des Fastens
Nahrungsmittelfasten als traditionelle religiöse Praxis scheint keine gute
Presse mehr zu haben, wenn man die Fastenzeitpraktiken oder die im Laufe
der Jahrzehnte erfolgte Reduzierung der Vorschriften zum eucharistischen
Fasten vor der Kommunion betrachtet.
„Im Januar 1953 legt Pius XII. in der Konstitution Christus Dominus fest,
dass die Aufnahme von Wasser das eucharistische Fasten nicht mehr
‚zerstört‘ und dass es auf eine Stunde für das Flüssige und drei für das
Feste reduziert wird.“ (Cuchet 2015: 412; Übersetzung: I. J.)1
1964 wurde das eucharistische Fasten sowohl für flüssige als auch für fes-
te Speisen auf eine Stunde reduziert, wie es das katholische Kirchenrecht
von 1983 noch angibt (can. 919). Das eucharistische Fasten wird zwar oft
vergessen, aber dennoch de facto eingehalten, wenn man bedenkt, dass es
eine Stunde vor der Kommunion und nicht vor der Messe vorgeschrieben
ist. Die Fastenzeitangebote der katholischen Kirche, die sich den aktuellen
Sorgen der Gesellschaft öffnen, beschäftigen sich nicht mehr wirklich mit
dem Nicht-Essen, was zeigt, dass der Verzicht auf Nahrung aus religiösen
Gründen im katholischen Kontext an Bedeutung verliert. Beispielsweise
beziehen sich das von Diözesen in Deutschland und Österreich angebotene
„Autofasten“ oder das Fleischfasten der Diözese Graz-Seckau unter dem
Titel „Gerecht leben, Fleisch fasten“ hauptsächlich auf ökologische Grün-
de. Neue Trends wie das „Freestylefasten“ (katholische-jugend.at/free-
stylefasten/ [12.08.2021]; vgl. auch Jonveaux 2020), die auch von der Ka-
tholischen Jugend und der Salesianischen Jugendbewegung in Österreich
für die Fastenzeit propagiert werden, haben nichts mehr mit dem Verzicht
auf Lebensmittel zu tun.
In der katholischen Gesellschaft gelten die Klöster als Vorbilder und Tra-
ditionsträger für das Fasten. Jedoch bleiben auch diese vom Rückgang der
Fastenpraxis in der Katechese nicht verschont. Ein österreichischer Bene-
diktinermönch bedauerte 2011 in einem Interview, dass es derzeit mehr
Fastenpraxis in der Gesellschaft als in der Kirche gebe. In der Tat werden
verschiedene Arten von Fastenwochen (in Kurhäusern oder Wellness-Ho-
tels, Fasten-und-Wandern-Angebote …) – im strengen Sinn des Nicht-
Essens – vor allem in den deutschsprachigen Ländern immer beliebter.
Der Verzicht auf Nahrung aus religiösen Gründen
verliert im katholischen Kontext an Bedeutung.
1 Im Original: „En janvier 1953,
Pie XII stipule, dans la constitution
Christus Dominus, que la prise d’eau
ne «détruit» plus le jeûne eucharis-
tique et que celui-ci est réduit à une
heure pour le liquide et trois pour le
solide.“
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven