Seite - 189 - in Limina - Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
Bild der Seite - 189 -
Text der Seite - 189 -
187 | www.limina-graz.eu
Michael Aldrian | Ahara – Nahrung
für Sinne und Geist. Was wir sehen, hören, riechen, schmecken und spü-
ren können, regt unser Bewusstsein an. Nicht nur Speisen selbst sind also
sinnliche Nahrung, sondern auch der Anblick einer Landschaft, der Geruch
von Erde, der Geschmack frischer Kräuter, das haptische Erlebnis, einen
Baum zu berühren.
Bei alledem entstehen Bewertungen (unangenehm, angenehm, neutral)
hinsichtlich der Erfahrung, die wir mit den Sinnen gemacht haben, und
diese führen zu Begehren nach dem Angenehmen und zur Ablehnung des
Unangenehmen. Diese Bewertungen finden ihren Platz im großen „Spei-
cher“ (samskara) unserer Vorstellungen, unseres Weltbildes, und werden
bei Bedarf verglichen, ergänzt oder ersetzt. Aus diesem gespeicherten Ma-
terial leitet sich auch unser willentliches Handeln ab, das absichtlich oder
unabsichtlich karma (Sanskrit: Tat, Handlung), also Ursache, ist und folg-
lich ein Ergebnis erzeugt. Wenn die Speise wohlschmeckend war, wollen wir
mehr davon, wenn sie nicht geschmeckt hat, wollen wir sie beim nächsten
Mal vermeiden. Diese Bewertungen verstärken unsere Anhaftung an an-
genehme Erfahrungen und unsere Abneigung gegen unangenehme Erfah-
rungen. Beide Erfahrungen sind aber lebenslang immer wieder vorhanden,
und dieses nicht enden wollende Auf und Ab von Angenehmem und Unan-
genehmem bezeichnet Buddha als dukkhata (leidhaft, mangelhaft, unvoll-
kommen), eine grundlegende Eigenschaft von samsara, dem Kreislauf der
wiederkehrenden Erfahrungen, Kreislauf des Leidens, Kreislauf des Wer-
dens und Vergehens. In der Lehre des Buddha wird geübt, dieser Tendenz
zur Bewertung mit Gleichmut (upekkha) – keinesfalls mit Gleichgültigkeit
zu verwechseln –zu begegnen, also gleichen Gemüts hinsichtlich des An-
genehmen wie des Unangenehmen zu verweilen.
Dukkha nimmt eine prominente Stelle in der Lehre des Buddha ein, es stellt
die erste Wahrheit dar: Das Leben wird als leidvoll, mangelhaft und un-
vollkommen erfahren. Nun stellt sich die Frage nach dem Grund für dieses
Leiden und diese Erfahrung des Mangels. Dies führt zur zweiten Wahrheit,
nämlich derjenigen, dass der Grund für diese Erfahrung des Mangels die
Gier, das Anhaften, das Verlangen (trsna: Durst, Lechzen) nach „mehr“ sei.
Diesem Verlangen kann nur durch Loslassen, Aufhören (nirodha) beige-
Nahrung für Sinne und Geist
Ein Übungsweg zum großen Ziel des Loslassens
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven