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Kurt Remele | Ein Fisch namens Jesus
Wie aber steht es um das friedlich anmutende Freizeitvergnügen des An-
gelns? Für die Fische ist das Angeln jedenfalls kein Vergnügen:
„Sich an der Lippe (oder einer empfindlicheren Stelle) mit einem Haken
durchbohren […] zu lassen, […] klingt natürlich nicht nach einem erhol-
samen, friedlichen Nachmittag. […] Augenverletzungen durch die Haken
sind überraschend häufig.“ (Balcombe 2016b, 225; vgl. Sneddon 2021;
Übersetzung K. R.)
Wie Fischfang ethisch beurteilt wurde
Wie bereits ausgeführt wurde, wird im Lukas- und im Johannesevangelium
eine Erzählung überliefert, in der Jesus seinen Jüngern zu einem gewal-
tigen Fischfang von „hundertdreiundfünfzig großen Fischen“ (Joh 21,11)
verhalf, die so schwer waren, „dass ihre Netze zu reißen drohten“ (Lk 5,6)
Im Johannesevangelium folgt auf den Fischfang ein Fischessen am Ufer des
Sees.
Für den Nestor der christlichen Tierethik, den anglikanischen Theologen
Andrew Linzey, ist es naheliegend, dass sich auch Jesus selbst daran betei-
ligte. In seiner grundlegenden Studie Animal Theology schreibt er:
„Jesus war – soweit wir wissen – kein kämpferischer Vegetarier. Wäh-
rend es keine eindeutigen biblischen Berichte darüber gibt, dass er Fleisch
gegessen hat, lassen die kanonischen Evangelien keinen Zweifel daran,
dass er Fisch gegessen hat.“ (Linzey 1994, 86; Übersetzung K. R.)
Ich bin diesbezüglich skeptischer, denn der im Schlusskapitel des Johan-
nesevangeliums geschilderte Fischverzehr fand nach Jesu Auferstehung
statt. Und es erscheint mir naheliegend, dass Jesu Auferstehungsleib irdi-
sche Nahrung weder benötigte noch verdauen konnte. Ich stimme Linzey
(1994, 86–87) allerdings zu, dass die Frage, ob man sich heute aus ethi-
scher Sicht vegetarisch oder vegan ernähren sollte, durch den Rekurs auf
einen (eventuellen) Fischkonsum Jesu nicht schlüssig zu entscheiden ist.
Im Gegensatz zu Jesus Christus forderten der griechische Philosoph Py-
thagoras und der hinduistische Reformer Swaminarayan Fischer dezidiert
dazu auf, die von ihnen gefangenen Fische wieder ins Wasser zurückzu-
Hat Jesus Fisch gegessen?
Limina
Grazer theologische Perspektiven, Band 4:2
- Titel
- Limina
- Untertitel
- Grazer theologische Perspektiven
- Band
- 4:2
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 4.0
- Abmessungen
- 21.4 x 30.1 cm
- Seiten
- 214
- Kategorien
- Zeitschriften LIMINA - Grazer theologische Perspektiven