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Naiver Realismus? Zur GegenstĂ€ndlichkeit des Sammelnsâ â
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Dass die Logik der Sammlung aus ihrer GegenstÀndlichkeit zu rekonstruieren
ist, bedeutet, dass ein VerstÀndnis jeder Sammlung vom VerstÀndnis nicht nur
der in ihr enthaltenen GegenstĂ€nde oder der Ăberzeugungen, Schematisierungen
und Praktiken abhÀngig ist, aufgrund derer sie zustande gekommen ist, sondern
von einer möglichst genauen Analyse und Beschreibung der Relationen zwischen
SammlungsgegenstÀnden und -kontexten, Sammlern und Sammlungsnutzern.
Das klingt banal, ist es aber angesichts des theoretischen Diskussionsstandes
nicht. Das gegenstÀndliche Denken ist deskriptiv im Sinne des EingestÀndnisses,
dass jedes Beschreiben auch ein Erschreiben ist. Die sprachlich-konzeptuelle
Reflexion der GegenstÀnde geht von (historisch verÀnderlichen) Affordanzen der
GegenstÀnde aus, die durchaus auch prÀreflexiver (d. h. nicht automatisch dis-
kursiver) Natur sein können. Sie wird durch die Vermittlung mit unseren vorge-
prÀgten Einteilungen der GegenstÀnde zur GegenstÀndlichkeit, die allein das
Vermögen hat, diese Einteilungen zu verÀndern. GegenstÀndlichkeit ist in diesem
Sinne auch ein historisches und skalierbares PhÀnomen. Die GegenstÀndlichkeit
einer privaten Schallplattensammlung ist gewiss einfacher zu beschreiben als
eine Sammlung zeitgenössischer Medieninstallationen. FĂŒr die eigene Schall-
plattensammlung reicht ein vortheoretisches Sammlungsmodell und damit ein
metaphysischer Realismus aus, fĂŒr die Medienkunst ist schon die Frage nach der
Abgrenzung und Bestimmung der GegenstÀnde Teil der Erlebnisrelation.
FĂŒr die Logik der Sammlung bietet die GegenstĂ€ndlichkeitsphilosophie zwei
weitere Vorteile. Erstens löst sie die GegenstÀnde, auf die sie sich bezieht, nie
völlig in der Beschreibung, den Praktiken oder den Affordanzen auf. Sie erkennt
das âEntgegenstehendeâ der Eigenlogik an, das deshalb immer wieder neuer Be-
und Erschreibungen bedarf. Weil sie, zweitens, von der grundlegenden VerÀnder-
lichkeit der Erlebnisrelationen ausgeht, die Auswirkung auf unser Selbstver-
stÀndnis, aber auch auf das VerstÀndnis der GegenstÀnde selbst hat, reduziert sie
Sammlungen nicht auf ihre Urheber. Aus gegenstÀndlicher Sicht ergibt sich die
Logik der Sammlung immer in einem Hier und Jetzt der Begegnung. Eine Samm-
lung, die irgendwann auf vortheoretischem Wege zustande kam, mag plötzlich in
neuem Licht erscheinen. Man denke an die Aura historischer Sammlungen und
KuriositÀtenkabinette, in denen nicht nur historische GegenstÀndlichkeiten kon-
serviert werden, sondern die unbewusst auch GegenstÀndlichkeiten enthÀlt, die
sich erst spÀteren Betrachtern eröffnen, die jenseits der Sammlerintention neue
BezĂŒge oder sogar neue GegenstĂ€nde in ihnen entdecken. Deshalb ist die Bewah-
rung und kulturwissenschaftliche Aufbereitung historischer Sammlungen zu
einem zentralen Forschungsfeld geworden. An der GegenstÀndlichkeit der
Sammlung entscheidet sich die HistorizitÀt ihrer Logik, die zugleich von ihrer
IntegritÀt auszugehen hat.
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik