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Logiken der Sammlung - Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
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Die kulturpoetische Funktion des Archivs    35 Was von der Foucault’schen Möglichkeitsstruktur übrig bleibt, wenn man sie konkret analysieren möchte, ist also kein historisches Apriori, sondern – ganz positivistisch – eine Sammlung von Vergleichsstellen. Selbstverständlich kann man dann, in einem zweiten Schritt, in einem Abstraktionsvorgang die Eigen- schaften dieser Vergleichsstellen als historische Formationsregeln dynamisieren. Aber erstens sehe ich nicht recht den Erkenntniswert einer solchen Operation, und zweitens – und das ist das Entscheidende – ergibt sie, analytisch betrachtet, eben niemals ein Apriori, sondern bleibt gegenüber dem Archiv immer sekundär. Wenn es ein historisches Apriori der Analyse gibt, dann ist das das Archiv. Nun behauptet etwa Niklas Luhmann, die Offensichtlichkeit überlieferter Texte „verdecke, daß es andere Möglichkeiten gegeben hatte“ (Luhmann 1997, 889). Das ist einerseits richtig. Andererseits aber könnte man einen Text ja gar nicht lesen und schon gar nicht verstehen, wenn man nur seine syntagmatische Achse vor sich hätte. Das bedeutet aber, dass kein Text ohne seine Alternativen bestehen kann; er verdeckt nicht nur nicht, dass es andere Möglichkeiten gegeben hatte, sondern er setzt diese Möglichkeiten zu seinem Verständnis gerade voraus und legt sie damit jeder späteren kommunikativen Anknüpfung potenziell auch wieder mit vor. Andernfalls verlöre er geradezu seine Textualität. Selbst der hoch- kulturstiftende Gesetzestext, an den Luhmann hier mit Jan Assmann zu denken scheint, etwa das 5. Buch Mose, setzt mit jeder Vorschrift voraus, dass man es auch anders machen kann (aber nicht soll), und mit jeder Aussage, dass es auch anders sein könnte (aber nicht ist),4 und Gesellschaften, die die schriftliche Version als verpflichtend aufrechterhalten wollen, müssen zusätzlich Kontroll- und Sanktionsmechanismen entwickeln, z. B. eine Inquisition einsetzen, um die reine Lehre zu bewahren. Um ein Beispiel zu geben: Meine Begeisterung über die popliterarischen Kataloge von Namen aus Popmusik, Marken- und Medienkultur und anderen Bestandteilen einer Enzyklopädie, die von der deutschen Literatur zuvor allen- falls mit spitzen Fingern angefasst worden war, bezog sich zunächst einmal schlicht darauf, dass diese Dinge überhaupt Eingang in die Literatur fanden. Das Vergleichsarchiv, das Leser von Literatur – auch die professionellen – damit her- anzuziehen gezwungen sind, um ihren Texten gerecht zu werden, wurde mit dem Erfolg dieser Popliteratur nach 1995 irreversibel um weite Bereiche unserer globa- lisierten Gegenwartskultur erweitert. Und zu diesem Vergleichsarchiv gehören dann eben nicht bloß diejenigen Bands und Marken, die in den Texten explizit 4  „Wer darauf verweist, daß für ihn noch die Regel gilt, Whisky nur nach sechs Uhr abends zu trinken, macht damit darauf aufmerksam, daß man damit auch früher schon beginnen könnte“, bemerkt auch Dirk Baecker in seiner Fortführung von Luhmanns Kulturtheorie (Baecker 2000, 24).
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Logiken der Sammlung Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Titel
Logiken der Sammlung
Untertitel
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
Autoren
Petra-Maria Dallinger
Georg Hofer
Verlag
De Gruyter Open Ltd
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-11-069647-9
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
202
Schlagwörter
Archiv, Nachlassinventar
Kategorien
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