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Li Gerhalter
Beispiel auch viele Lebenserinnerungen im Bestand.11 Auch wenn die Namen
dieser Einrichtungen also nicht exklusiv verstanden werden, sind sie mit Sicher-
heit eine Richtschnur, was überhaupt angeboten wird.
Mitunter lancieren Sammlungseinrichtungen für konkrete Forschungs- oder
Ausstellungsvorhaben auch thematische Aufrufe. Mehrere Bände der Editions-
reihe Damit es nicht verloren geht … der Dokumentation lebensgeschichtlicher
Aufzeichnungen sind auf solchen Initiativen aufgebaut. Die gezielte Auswahl und
insbesondere das konkrete Einwerben ermöglichen schließlich eine themen- oder
genrebezogene Spezialisierung von Sammlungsbeständen.
Die andere Herangehensweise ist das Provenienzsystem, bei dem nicht von
vornherein Ausschlusskriterien feststehen. Diese Aufnahmepolitik wird von der
Sammlung Frauennachlässe verfolgt. Dabei kann das, was als ‚Nachlass‘ von
einer Person übergeben wird, sehr umfangreich sein – möglicherweise aber auch
nur aus einem einzelnen Dokument bestehen. In begrenztem Ausmaß werden
von der Sammlung Frauennachlässe zudem kleine Gegenstände wie Orden oder
Abzeichen, sogenannte Judensterne, Schatullen, Koffer, Handtaschen etc. ange-
nommen, wenn diese eine gewisse Erinnerungsfunktion erkennen lassen.12
Insgesamt evoziert der offene Zugang eine Breite des dokumentierten Quel-
lenspektrums. Die Dokumentation der quellenimmanenten Formenvielfalten
setzt dann freilich eine gewisse Flexibilität in der Verzeichnung voraus. Das kann
gleichzeitig neue genrespezifische Erkenntnisse ermöglichen, wie sich anhand
des folgenden Beispiel illustrieren lässt: Von den derzeit in der Sammlung Frau-
ennachlässe archivierten 429 Vor- und Nachlässe enthalten 97 von Frauen und 29
von Männern (auch) Tagebücher. Im Katalog und Dokumentenregister sind diese
Quellen als „Tagebücher“ aufgenommen, sie werden aber zudem noch ihren ver-
schiedenen Formen entsprechend verzeichnet. Die dazu verwendeten Benennun-
gen wurden aus dem vorliegenden Material heraus entwickelt (vgl. Gerhalter
2012).13 Diese Art der pragmatisch verfeinerten Katalogisierung erleichtert den
11 2017 lagen von insgesamt 4.043 dokumentierten Personen immerhin 2.932 retrospektiv ver-
fasste Lebenserinnerungen vor (vgl. Gerhalter 2017, 384). In der online verfügbaren aktuellen
Satzung des Trägervereins des Archivs von 2015 findet sich die entsprechende Angabe: „Zweck
des Deutschen Tagebucharchivs ist die Sammlung autobiographischer Lebensberichte.“
12
Der Bestand der Sammlung Frauennachlässe kann entsprechend als ausgeweitete Sammel-
zone bezeichnet werden. Derzeit sind solche Erweiterungen in 131 (von 429) Vor- oder Nachläs-
sen dokumentiert.
13
Im Fall der „Tagebücher“ im Bestand der Sammlung Frauennachlässe wurden bisher die fol-
genden zusätzlichen Bezeichnungen vergeben: Kindertagebücher; Jugendtagebücher; Brieftage-
bücher; Elterntagebücher oder Geburtenverzeichnisse; Reise-/Wander-/Urlaubstagebücher;
Walztagebücher; während dem Ersten Weltkrieg geführte Tagebücher; während dem Zweiten
Logiken der Sammlung
Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Titel
- Logiken der Sammlung
- Untertitel
- Das Archiv zwischen Strategie und Eigendynamik
- Autoren
- Petra-Maria Dallinger
- Georg Hofer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069647-9
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Archiv, Nachlassinventar
- Kategorien
- Weiteres Belletristik