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166 | Dieter Pohl
oder Verkehr wollte man auf qualifizierte Leute nicht verzichten. Ansonsten konnte
sich praktisch jeder für den Dienst im Osten freiwillig melden ; es gab freilich eine
politische Überprüfung der Kandidaten, die jedoch begrenzt blieb.
Die Zivilverwaltung agierte in ihren Territorien nicht allein, neben ihr etablierte
sich ein vergleichsweise mächtiger SS- und Polizeiapparat, und für die militärische
Sicherung sorgte weiterhin die Wehrmacht. Oftmals herrschten zwischen diesen Sek-
toren erbitterte Konflikte um Kompetenzen und Ressourcen, Auseinandersetzungen,
wie sie für das «Dritte Reich» so typisch waren. Dennoch gab es, besonders in Osteu-
ropa, auch gravierende Unterschiede zur Situation im «Reich» : Dies war vor allem das
Bewusstsein und die Praxis der Herrschaft über osteuropäische Fremde, im damaligen
Jargon : «Fremdvölkische». Innerhalb des Besatzungspersonals wurde der Herrenmen-
schen-Dünkel gepflegt, ein koloniales Bewusstsein, man sei den Einheimischen «ras-
sisch» überlegen und könne im Osten schalten und walten, wie man wolle.6 Dies
rührte teilweise von traditionellen Stereotypen über den slawischen Menschen her, wie
Rückständigkeit, Kulturlosigkeit und Gewalttätigkeit. Diese Sichtweisen waren aber
nun aufgeladen mit nationalistischen bzw. nationalsozialistischen Herrschaftsphanta-
sien und mit Rassekategorien. Entfalten konnte sich diese Mentalität in einem nahezu
rechtsfreien Raum. Misshandlungen an Einheimischen, ja willkürliche Morde wurden
kaum oder gar nicht geahndet, insbesondere wenn sie sich gegen Juden richteten. Und
bis zur Wende des deutschen Kriegsglücks 1942/43 hatte auch kaum jemand zu be-
fürchten, dass er nach dem Krieg für seine Taten zur Rechenschaft gezogen würde.
Manch kleiner Beamter oder Angestellter aus dem «Reich» wurde so im Osten zum
Herrn über Leben und Tod von Tausenden Einwohnern.
Diese entfesselte, aktivistische Attitüde wurde von der Führung des Regimes aus-
drücklich gebilligt und gefördert. Denn die Besatzung im Osten sollte nur wenige, da-
für aber umso radikalere Ziele verfolgen. Bereits die Eroberungszüge, besonders in der
Sowjetunion, aber auch schon 1939 in Polen, waren von dem Bewusstsein dominiert,
den Feind mit maximaler Gewalt niederzuwerfen, einer Gewalt, die sich nicht nur ge-
gen dessen Armeen richtete. Auch die gesellschaftliche Basis der Nationen und Staaten,
besonders die Eliten, galt es zu zerstören, mit Verhaftungen und Massenmorden an der
Intelligenz oder an Personen, die man als potenziell gefährlich ansah. Dies reichte bis
zu Totalinternierungen der erwachsenen männlichen Bevölkerung bei der Besetzung
sowjetischer Großstädte. Aber auch nach Abschluss der Eroberungen herrschte wei-
terhin der Terror, um die Einheimischen von jeglichem Widerstand abzuschrecken.
6 Vgl. Götz Aly/Susanne Heim : Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine
neue europäische Ordnung, Frankfurt a. M. 1993 [1991], S. 188 ff.; Elizabeth Harvey : Der Osten braucht
Dich ! Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik, Hamburg 2010 [2003] ; David B. Fur-
ber : «Going East». Colonialism and German Life in Nazi-Occupied Poland, Ph. D. Thesis State Univ. of
New York, Buffalo 2003 ; Stephan Lehnstaedt : Okkupation im Osten. Besatzeralltag in Warschau und
Minsk 1939–1944, München 2010 (Studien zur Zeitgeschichte, 82).
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen