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182 | Karin Orth
standen auch nach Kriegsende weiter. Während des Nationalsozialismus erfüllten sie
zum Zweiten weiterhin und parallel zur feststellbaren Radikalisierung, die bis zum
Massenmord reichte, ihre angestammte Aufgabe, nämlich Strafvollzug bzw. die Be-
handlung psychisch Kranker und Behinderter.7 Die NS-Terrorstätten jedoch bestan-
den ausschließlich während des Nationalsozialismus und sie erfüllten ausschließlich
eine Terrorfunktion.
Der Beitrag stellt jedoch nicht die NS-Terrorstätten an sich in den Fokus der Betrach-
tung, sondern geht vielmehr von der nationalsozialistischen Exklusions-, Ausbeu
tungs-
und Vernichtungspolitik aus. Vor diesem Hintergrund wird zum Ersten nach den im
Zentrum der NS-Politik stehenden Verfolgtengruppen gefragt – nach den politischen
Gegnern und den sogenannten Gemeinschaftsfremden, den Zwangsarbeitern, den so-
wjetischen Kriegsgefangenen und den Juden – sowie danach, welche Maßnahmen für
die jeweilige Verfolgtengruppe bestimmend waren. Zum Zweiten soll gefragt werden,
ob ein bestimmter Typus der Terrorstätte für jene Politik(en) charakteristisch war. Die
Perspektive der Opfer bleibt damit ausgeschlossen. Vor dem individuellen Leid der
Verfolgten mag die Frage nach der Klassifizierung von Terrorstätten sogar zynisch er-
scheinen. Die Fragestellung ist jedoch nicht unberechtigt, will man das NS-Regime
und seine Politik analytisch begreifen. Die historische Forschung der letzten Jahre hat
gezeigt, dass das NS-Regime gegenüber verschiedenen (vermeintlichen oder tatsächli-
chen) Gegnergruppen unterschiedliche Repressionsmaßnahmen anwandte. Die Skala
reichte von Arbeitszwang und Einschränkung der Freizügigkeit bei vergleichsweise
erträglichen Lebensbedingungen bis zur vollständigen Vernichtung ganzer Verfolg-
tengruppen.
Die Darstellung fokussiert zudem auf die Intention der Nationalsozialisten. Im
Zentrum steht die Funktionszuweisung an die jeweilige Terrorstätte aus der Sicht der
Nationalsozialisten, und es geht um die typischen Strukturen, weniger um Abweichun-
gen und Ausnahmen. Die damit zwangsläufig einhergehenden Vereinfachungen, die
unvermeidlichen Lücken und die nicht berücksichtigten Details sollen in Kauf ge-
nommen werden, um eine Typologie im Sinne des Weber’schen Idealtypus deutlich
zu machen. Wesentliche Aspekte der historischen Realität werden also herausgehoben
und gelegentlich vielleicht überzeichnet, um das Typische und Charakteristische zu
verdeutlichen. Dies bedeutet eine mittlere Ebene zwischen Generalisierung und Kon-
7 Nikolaus Wachsmann : Gefangen unter Hitler. Justizterror und Strafvollzug im NS-Staat, München 2006,
hat für die Gefängnisse daher von «legalem Terror» gesprochen ; Cornelia Brink : Grenzen der Anstalt.
Psychiatrie und Gesellschaft in Deutschland 1860–1980, Göttingen 2010 (Moderne Zeit. Neue Forschun-
gen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, 20), S. 354, betont als Spezi-
fikum der Psychiatrie im Nationalsozialismus, dass Selektionen und Tötungen gerade an den bisherigen
Stätten psychiatrischer Tätigkeit stattfanden. Die radikalste Zuspitzung bildeten freilich die sechs «Eutha-
nasieanstalten» Grafeneck, Brandenburg, Bernburg, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein, die während
der Aktion «T4» als Mordzentrum fungierten.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
Band 1
- Titel
- Mauthausen und die nationalsozialistische Expansionsund Verfolgungspolitik
- Band
- 1
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Heinrich Berger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21217-1
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 426
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen