Seite - 48 - in Deportiert nach Mauthausen, Band 2
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48 | Alexander von Plato
Insgesamt waren zahlreiche Interviewpartner, die sich im Rahmen des Mauthau-
sen Survivors Documentation Project zu einem Gespräch bereit erklärten, später nach
Deutschland eingewanderte Ausländer, zumeist Juden, die heute deutsche Staatsbür-
ger sind, wie zum Beispiel Regina Lamstein. Dass sie sich ausgerechnet im «Land der
Täter» niederließen, mag vielleicht erstaunen, doch scheinen für einige die Bedingun-
gen in Osteuropa in den 1960er Jahren und danach nicht dazu angetan gewesen zu
sein, dort zu bleiben, wenn man die Möglichkeit bekam, sich in der Bundesrepublik
niederzulassen. Umgekehrt waren sowohl die politischen Bedingungen als auch die
Erinnerungskulturen in der Bundesrepublik vor dem Ende der 1960er und den frühen
1970er Jahren wenig geeignet, die Opfer des Nationalsozialismus im Land zu halten.
Viele von ihnen emigrierten oder sind in die sowjetische Besatzungszone bzw. DDR
gegangen, weil dort der Antifaschismus etabliert war oder zumindest etabliert zu sein
schien. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wuchs zwar gerade unter den
jüngeren Deutschen die Zahl derer, die die Opfer des Nationalsozialismus mit Sym-
pathie betrachteten, in Schulen einluden, Zeitungs-, Rundfunk- oder Fernsehberichte
mit ihnen machten. Dennoch blieb eine Kluft zwischen ihnen und denjenigen, die
einen «Schlussstrich» unter die nationalsozialistische Vergangenheit ziehen wollten,
bestehen. Wenn auch die Zahl der Letzteren geringer wurde, blieb Deutschland noch
Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ein krasses Beispiel für die Länder mit unver-
söhnlichen Erinnerungen und gespaltenen Erinnerungskulturen.
Zusammenfassung
Die meisten der von uns befragten deutschen Überlebenden von Mauthausen waren
aus verschiedenen Gründen nicht Teil der Überlebenden- und Erinnerungsgemein-
schaften der ersten Nachkriegsjahrzehnte in Deutschland, obwohl einige von ihnen
bereits unmittelbar nach 1933 Verfolgungserfahrungen machen mussten, länger also
als viele der in den besetzten Gebieten Verfolgten. Sie schlossen sich erst dann solchen
Gemeinschaften in der Bundesrepublik an, als ihr Verfolgtenstatus anerkannt war und
sie weniger Angst vor neuer Verfolgung haben mussten. Diese späten Anschlüsse an
die Erinnerungsdiskurse der Bundesrepublik offenbaren sich auch in ihren Erzählun-
gen über ihre Wege durch die KZ und nach Mauthausen. Zum Teil scheinen mir ihre
Berichte «ursprünglicher», manchmal weniger «politisch korrekt»65, auch radikaler, da
sie so lange in der Bundesrepublik geschwiegen hatten.
Einen Sonderfall stellen diejenigen befragten Kommunisten dar, die in der Bundes-
republik auch nach 1945 politisch aktiv blieben und Faschismus sowie parlamentari-
sche Demokratie als zwei Ausprägungen der bürgerlichen Gesellschaft begriffen, die
65 Auch in dem Sinn, dass in manchen Aussagen über andere Häftlingsgruppen, über die Entschädigungs-
praxis nach 1945 etc. rassistische Vorurteile geäußert werden.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen