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Weggabelungen und EinbahnstraĂen |
Perspektive spricht, aber schlieĂlich â nachdem er vom Interviewer auf die IllegalitĂ€t
dieser AktivitĂ€ten hingewiesen wird â in das unpersönliche «man» als ErzĂ€hlperson
wechselt. Der Soziologe Michael Pollak fand bei der Analyse und Interpretation von
Augenzeugenberichten heraus, dass die Verwendung eines solchen «man» als ErzÀhl-
person oft im Zusammenhang mit einem nicht bestĂ€ndigen ZugehörigkeitsgefĂŒhl des
ErzĂ€hlenden gegenĂŒber einer Gruppe steht.37 Wendet man dieses Interpretationsan-
gebot auf die ErzÀhlung Hechenblaikners an, so bedeutet dies, dass der Zeitzeuge zu-
nÀchst im «wir» von seiner TÀtigkeit bei den Illegalen erzÀhlt und damit eine Situation
des ZusammengehörigkeitsgefĂŒhls und der selbst empfundenen HandlungsfĂ€higkeit
zum Ausdruck bringt. Als er auf den Hinweis des Interviewers, dass diese TĂ€tigkei-
ten ja illegal gewesen seien, reagiert und auch von der Abwendung erzÀhlt, legt die
Verwendung des «man» in der ErzÀhlung allerdings den Schluss nahe, dass die Ab-
wendung von den Nationalsozialisten und die Verweigerung der Wehrpflicht nicht
als Eigeninitiative zu verstehen sind, sondern eine verordnete Haltung zum Ausdruck
bringen. Diese Interpretation wird allerdings nur durch die Analyse der verwendeten
Personalpronomina nahegelegt, denn ansonsten schildert Josef Hechenblaikner seine
Entscheidung zur Verweigerung der Wehrpflicht durchgÀngig als eigen(stÀndig)e, wo-
mit er in der ErzĂ€hlung handlungsfĂ€hig bleibt und die anschlieĂende Verfolgung posi-
tiv in seine Lebensgeschichte integrieren kann.
Verhaftung, Deportation und Inhaftierung auf dem Weg nach Mauthausen
In der narrativen Struktur der lebensgeschichtlichen Interviews bilden die ErzÀhlungen
ĂŒber Verhaftung, Deportation und Inhaftierung einen Kulminationspunkt autobiogra-
fischer Sinnkonstruktion. Dabei sind bei den aus rassistischen GrĂŒnden Verfolgten
vor allem ihre eingeschrÀnkte HandlungsfÀhigkeit bzw. ihre HandlungsunfÀhigkeit ein
zentrales Motiv in den ErzĂ€hlungen ĂŒber ihre Wege nach Mauthausen, wĂ€hrend bei
den aus politischen oder religiösen GrĂŒnden Verfolgten Bewusstheit und Unbewusst-
heit gegenĂŒber den Konsequenzen des (widerstĂ€ndigen) Handelns in den Mittelpunkt
der ErzĂ€hlungen rĂŒcken.
Stellen bei vier von fĂŒnf Interviewpartnern die Verhaftung und Einweisung in ein
KZ einen Bruch im Handlungsverlauf der Lebensgeschichte dar, ist dies in der ErzÀh-
lung Leopold Redlingers nicht der Fall. Sein Weg in die politische Verfolgung nahm
bereits Jahre vor dem «Anschluss» seinen Anfang, als er das erste Mal 1934 in Wien
in dreiwöchige Haft genommen und 1937 als tschechoslowakischer Staatsangehöriger
aus Ăsterreich ausgewiesen wurde. Redlinger schildert die Haftzeiten vor der Auswei-
sung, die Zeit im slowakischen GefÀngnis Leopoldov sowie die im Februar 1945 in der
Slowakei erfolgte Auslieferung an die SS, die ihn schlieĂlich nach Mauthausen ĂŒber-
37 Michael Pollak : Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von KZ-Ăberlebenden als Augenzeugen-
berichte und als IdentitĂ€tsarbeit, Wien 22016 [1988] (Wiener Studien zur Zeitgeschichte, 1), S. 158â160.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen