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französischen Deportierten von Mauthausen : ungleiche Wege zum gleichen Ziel |
nen beeinflussen unweigerlich den Inhalt der Zeugnisse, sei es nun im Sinne der Kon-
tinuität oder des Widerspruchs. All dies sind Elemente, die angesichts der bekannten
Diskurse der kollektiven Geschichte für die Entstehung einer individuellen Erinnerung
Raum lassen. Eben hierin liegt das ganze Interesse des mündlichen Zeugenberichts für
die Geschichte ; dieser bietet insbesondere auch die abweichende Darstellung jener, die
ihre Erzählung noch nicht unbedingt so stark formalisiert haben.
Verhaftungsgründe
Auch wenn es zahlenmäßig begrenzt ist, so ruft dieses Sample doch eine Selbstver-
ständlichkeit in Erinnerung : die Vielfalt der sozialen und geografischen Herkunft der
Deportierten von Mauthausen, ihrer Lebenswege vor, während und nach der Internie-
rung. Diese Vielfalt widerspricht nicht ihren ähnlichen, manchmal sogar identischen
Erfahrungen, wie sie jedenfalls in der jeweiligen Erzählung dargestellt werden. Diese
Übereinstimmungen in der Erzählung betreffen, was kaum verwundern wird, die
«Reise» ins und die Ankunft im Lager, die quasi zu formalisierten narrativen Moti-
ven geworden sind, vor allem zu der Zeit, da die Aufzeichnungen durchgeführt wur-
den. Ein anderer Parameter ist von fundamentaler Bedeutung für den ersten Zeitraum,
den vor der Internierung in Mauthausen – nämlich der Ort, an dem die betreffenden
Zeugen lebten oder arbeiteten : Das waren erstens die sogenannte «freie Zone» (zone
libre) vor 1942 und die Zone unter italienischer, dann deutscher Besatzung, das heißt
insgesamt der Südosten Frankreichs, zweitens die von Anfang an «besetzte Zone» (der
Norden bis zur Demarkationslinie) und drittens die «verbotene Zone» (zone interdite),
direkt der Reichsverwaltung unterstellt (der Nordosten, vor allem die Picardie, Loth-
ringen und das Elsass).18 Die Bedeutung der deutschen Präsenz oder jene der Anwen-
dung der Gesetze von Vichy – insbesondere gegen die Oppositionellen oder gegen die
aus rassischen Gründen diskriminierten, dann systematisch verfolgten Bevölkerungs-
gruppen (in Frankreich hauptsächlich die Juden, da es keine ausgeprägte und vor allem
keine anerkannte Präsenz von Roma und Sinti gab19)
– ist wesentlich, um zu verstehen,
weshalb manche sehr früh oder im Gegenteil erst später, praktisch schon zu Ende des
Krieges und der Besatzung, verhaftet wurden.
Bei den nach Mauthausen Deportierten handelte es sich nach der Terminologie,
die die Fondation pour la Mémoire de la Déportation verwendet, im Wesentlichen um
«Repressions»-Deportierte (déportés arrêtés par mesure de répression). Unter den inter-
18 In dieser Sperrzone wurden darüber hinaus die drei westlichsten Departements Moselle, Bas-Rhin und
Haut-Rhin de facto dem Deutschen Reich eingegliedert. Die Departements Nord und Pas-de-Calais stan-
den unter Verwaltung des Militärbefehlshabers in Belgien und Nordfrankreich. Vgl. Jean-Luc Leleu et
al.
(Hg.) : La France pendant la seconde guerre mondiale. Atlas historique, Paris 2010, S. 50 f.
19 Sie lebten zwar in großer Zahl im Süden Frankreichs ; ihre althergebrachte Gegenwart und die Sesshaft-
werdung etlicher Gruppen machten sie jedoch in den Augen der Verwaltung quasi unsichtbar.
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Deportiert nach Mauthausen
Band 2
- Titel
- Deportiert nach Mauthausen
- Band
- 2
- Autoren
- Gerhard Botz
- Alexander Prenninger
- Regina Fritz
- Herausgeber
- Melanie Dejnega
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21216-4
- Abmessungen
- 16.8 x 23.7 cm
- Seiten
- 716
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen