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16 Mobile Culture Studies | >mcs_lab> 1 (2020)
Valentino Filipovic | Gespräche im Gehen
Straßen alltäglich begehen
Die Straße ist eine „Zelebration des klaren Wegs zum klaren Ziel“. (Scharfe 1994 zit. n. Rols-
hoven 2001, S. 95) Auf der Straße bewegen sich Menschen auf unterschiedliche Art und Weise:
im Auto, mit öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad, mit dem Rollstuhl oder auch
zu Fuß. Als FußgängerInnen bewegen sie sich einmal gehetzt, ein anderes Mal schlendernd;
manchmal wachsam und manchmal verträumt. Dabei nehmen sie Straße einmal bewusster
wahr, ein anderes Mal gehen sie achtlos, weil die Gedanken sich nicht um die Umgebung der
Straße drehen.
Die Straße ist als öffentlicher Raum derjenige Teil der Stadt, in dem „Gesellschaft sichtbar“
wird. (Rolshoven 2018, S. 14) Die Stadt und der öffentliche Raum sind greifbarer und bebauter
Raum, aber auch Raum gesellschaftlicher Repräsentationen, wie etwa ein Rechtsraum. Stadt
ist ebenso unser persönlicher Aneignungs- und Erfahrungsraum, ein Raum zur Aushandlung
von Konflikten sowie von Fragen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. (Vgl. Rolshoven
2001, S. 104) Stadt ist der gelebte Raum, in dem wir als Individuen sein können, ein „flexibler,
dynamischer persönlicher Raum“ (Walter Siegfried 1977, zit. n. Rolshoven 2001, S. 103), der sich
dadurch auszeichnet, dass er mit der menschlichen Bewegung […] sowie der sinnlichen Wahr-
nehmung verknüpft ist.“ (Rolshoven 2017, S. 103)
Die Stadt ist schwer zu begreifen, weil es nicht die eine Stadt gibt. Bewegen wir uns in
einer Stadt, erfassen wir ihre Merkmale und Charakteristika, ihre Sehenswürdigkeiten und
ihre Stadtbewohner/-innen lediglich an der Oberfläche. Haben wir uns ein Bild von der Stadt
gemacht und uns eine Übersicht verschafft, entdecken wir mit unseren weiteren Schritten auch
ihre tieferliegenden Schichten: ihre Geschichte, ihre Mikrokosmen und ihre Widersprüche.
Der Ethnologe Marc Augé charakterisiert die Stadt folgendermaßen:
„Die Stadt bildet kein kohärentes und homogenes Gefüge […]. Sie zerfällt daher in eine
Vielzahl von Strukturen, Geschehnissen und Abenteuer, die ihre besondere Poesie erzeu-
gen, die unterhalb jedes Textes einen Subtext erzählbar macht, der ihm zuwiderläuft und
von einer anderen Stadt spricht, die sich ebenso sehr offenbart wie verbirgt. ‚Der städtische
Raum gibt vor, transparent zu sein‘, heißt es bei Henri Lefebvre. […] Aber man […] stellt fest,
daß diese Transparenz täuscht und trügt. […] Die Stadt entfächert in sich gleichsam eine
endlose Kette aus Substädten, eine unter, neben oder jenseits der anderen geschichtet, als
ein Spiel von Möglichkeiten, das die Lesarten verwirrt. […] Die Stadt zeigt sich, sie scheint
sich dem Betrachter unverhüllt zu präsentieren: Ort der Öffentlichkeit par excellence im
Sinne der Unverborgenheit, der Offenbarmachung, solange man ihren Zeichen und ihrem
dichten Gewebe aus Knoten, Schnittpunkten und Linien nachgeht.“ (Augé 2000, S. 191)
Die Stadtethnologie will die Stadt in ihrem Geflecht von Strukturen und Geschehnis-
sen verstehen und sie möchte den Sinn der Stadt für ihre Bewohner_innen entdecken. Darin
spiegelt sich der Begriff der Kultur wider, welcher für die Ethnologie an zentraler Stelle steht.
Elisabeth Katschnig-Fasch schrieb über die kulturanthropologisch Forschenden in der Stadt:
„Unser Blick auf ‚die Stadt‘ ist nicht einer der Stadtplaner oder Gesellschaftskritiker, sondern
sucht Menschen, ihre konkreten lebensweltlichen Erfahrungen, ihre Bedürfnisse und Mög-
lichkeiten, den Eigensinn in ihren Lebensräumen. Denn immer sind es die Lebensräume,
>mcs_lab>
Mobile Culture Studies, Band 1/2020
The Journal
- Titel
- >mcs_lab>
- Untertitel
- Mobile Culture Studies
- Band
- 1/2020
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 108
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal