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Mobile Culture Studies. The Journal 4 2o18
Joachim Schlör, Johanna Rolshoven | Künstlerische Positionen und Ausdrucksformen 11
dessen, der seine Heimat verliert, dem sie genommen wird, zum Aufenthalt, zur Wohnung, die
etwas enthält und bereithält, womit nicht gleich zu rechnen war, ein Mehr an Erfahrung und
Erlebnis. Das ist denen verwehrt, die zurückbleiben:
„Die Daheimgebliebenen sind immer noch fremd in London und Rom und New York,
Gott hat sie mit Provinzialismus geschlagen, und der Emigrant von gestern ist nicht einmal
fremd in der Wüste oder im Dschungel, er ißt mit Stäbchen und wirft Speere und trägt
ein Leopardenfell und tanzt fremde Tänze und betet in fremden Kirchen und weint bei
fremden Beerdigungen. Weil er mehr erfahren hat, weiß er mehr, und weil er mehr weiß,
ist er mehr. Weil er nirgends zu Hause ist, kann er nirgends mehr vertrieben werden. Er hat
kein Heimweh.“10
Das Zitat macht eine andere Perspektive auf Exil und Migration sichtbar und öffnet unseren
Horizont auf die Möglichkeitswelten. Heimat, Heimatlosigkeit, Heimweh – das sind Begriffe,
die in unseren Zeiten unversehens sehr aktuell geworden sind, von der Einrichtung eigener
Ministerien bis zur erneut aufflammenden Debatte, wer denn zur „Heimat“ gehören darf.11 Sie
sind auch Gegenstand künstlerischer Arbeiten von der Art der hier vorgestellten. Es ist dabei
interessant zu sehen, dass museale Zeugnisse – wie die im Call for Papers beispielhaft erwähn-
ten – in keinem der Beiträge als Thema für einen Beitrag gewählt wurden. In diesem Zusam-
menhang sollte vielleicht die Initiative für ein „Exilmuseum“ kurz angesprochen werden. Zwar
sind die bisher publizierten Überlegungen zu dieser Initiative, die auf die Autorin Herta Mül-
ler zurückgehen und mit Christoph Stölzl, dem ehemaligen Direktor des Deutschen Histori-
schen Museums, und Claus-Dieter Krohn, dem früheren Vorsitzenden der Gesellschaft für
Exilforschung, prominente Unterstützer gefunden hat, durchaus bemerkenswert. Das geplante
Museum
„… sucht die Lebensgeschichten hinter Statistiken und abstrakten Lexikongrößen. Im Zen-
trum der Ausstellung stehen die Schicksale einzelner Menschen. Sie sind die Akteur*innen,
Träger*innen und Symbole der Exilgeschichte.
… spürt der Erfahrung des Exils anhand von bestimmten Motiven und Themen nach und
ermöglicht dem Publikum so eine bewegende Nahsicht auf das Thema.
… macht historische Hintergründe verständlich. Es begreift dabei die Emigration aus dem
Machtbereich der Nationalsozialisten als ein Unrecht, das uns heute noch etwas angeht.
Was können wir aus der Geschichte für das Heute lernen?
… erzählt von der Zwangsemigration nach 1933 im Bewusstsein, dass das Jahrhundert des
Exils noch immer kein Ende gefunden hat. Wie wurden Flucht und Entwurzelung zu
zentralen Erfahrungen unserer Zeit? Was hat sich im 20. Jahrhundert verändert, dass von
einem „Jahrhundert des Exils“ gesprochen werden kann?
... richtet den Blick auch auf die Gegenwart: Über 65 Millionen Menschen sind aktuell
10 Ebd.
11 Vgl. Joachim Schlör, ‘Migration als Thema jüdischer Volkskunde und Ethnografie’, in Jahrbuch des Sel-
ma-Stern-Zentrums für jüdische Studien Berlin-Brandenburg 2019 (im Erscheinen).
Mobile Culture Studies
The Journal, Band 4/2018
- Titel
- Mobile Culture Studies
- Untertitel
- The Journal
- Band
- 4/2018
- Herausgeber
- Karl Franzens University Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 182
- Kategorien
- Zeitschriften Mobile Culture Studies The Journal