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© 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783847111658 – ISBN E-Lib: 9783737011655
vergieren,unteranderemauchdeshalb,weildersoziologischeBegriffge¯reinen
Bedeutungswandel durchgemacht hat17 und die Texte unterschiedlich (liter-
ar-)historisch verortet werden.18Vielleicht kannman den Fremden (ge¯r) als
„resident outsider“ bezeichnen, wobei seine Abkunft offen bleibt und er au-
ßerhalbderGastgesellschaft steht.19
Das Begriffsfeld gr/gwr (Fremder / als Fremder wohnen) ist in keineman-
deren Buch der Hebräischen Bibel absolut wie prozentual so häufig wie im
Deuteronomium belegt.20Der Ausdruck ge¯r findet sich fast ausschließlich in
Gesetzestexten.Daskönntedaraufdeuten, dass es sichumeinen„sozialenTy-
penbegriff“handelt.21DabeibleibenaberHerkunftundGeschlechtdesFremden
immerunbestimmt,ebensoseinekulturellenBezüge.ModerneFragennachder
eigenen Sprache undKulturwie die nachLegalität undDauer desAufenthalts
spielenkeineRolle. „Über seine [desFremden] eigeneGefühlslage,Mentalität,
politischeoder religiöseGesinnungwirdankeinerStelledesDeuteronomiums
gesprochen.“22
Einzelne seinerTexte lasseneingewissesProfil „desFremden“ausderSicht
derer, die Mose in seinen Abschiedsreden anspricht, erkennen. Dazu gehört
zunächst, dass er außerhalb seinesVerwandtschaftssystems lebtundkeinBür-
gerrechtbesitzt.Obwohl er in1,16alsProzesspartnerund in24,14alsArbeits-
kollege auftritt, gehört der Fremdenicht zuden „Brüdern“.Dochwird er nir-
gendsals „Fremder in Israel“bezeichnet, sondern steht ineinemgewissenNa-
heverhältnis. Er ist – und zwar nur im Deuteronomium (von Ex 20,10, der
wandernaufgrundvonArbeitssucheundseinewirtschaftlicheAbhängigkeit von selbstän-
digenGrundbesitzernverursacht.IhncharakterisierealsoseinminderersozialerRang,nicht
seine nationale Fremdheit. Gegen Bultmann argumentiertMarkus Zehnder, Umgangmit
Fremden in Israel und Assyrien. Ein Beitrag zur Anthropologie des „Fremden“ im Licht
antikerQuellen,Beiträge zurWissenschaft vomAltenundNeuenTestament168, Stuttgart
2005, S. 285–86, fürdieAnnahme, „dass sowohl ethnischewie auch religiöseFremdheit in
allerRegel zudenBedeutungselementendesNomensge¯rgehören.“ (S. 286).
17 Vgl. Christiana vanHouten, TheAlien in Israelite Law, The Library ofHebrewBible/Old
TestamentStudies107,Sheffield1991,S. 164.
18 Sountersucht z.B. Ebach, Fremde, S. 31, getrennt „dieDarstellungendes Fremden invor-
exilischer, exilischer und nachexilischer Zeit“, weil „die Veränderung der Gesellschafts-
struktur vonder vorexilischenMehrheitsgesellschaftüberdie exilischeMinderheitsgesell-
schaftbishinzumnachexilischenKampfumdie,Leitkultur‘entscheidend“sei.Sieorientiert
sich dabei an verschiedenen redaktionsgeschichtlichen Modellen der modernen Deute-
ronomiumsforschung (Ebd., S. 26–31). Vgl. aber z.B. Awabdy, Immigrants, S. 110: „We
cannotreconstruct fromD[Deuteronomy]theprecisehistorical referentsof thege¯r,butwe
can identifywithinDthedistinct social andreligiousstatusesof thege¯r.“
19 Vgl.SaulM.Olyan,RitesandRank.HierarchyinBiblicalRepresentationsofCult,Princeton,
NJ2000,S. 74–81.
20 Ebach,Fremde,S. 41.
21 Bultmann,Fremde,S. 94u.ö.
22 Ebach,Fremde,S. 47Anm.157.
DerblindeFleck–dasGebot,denFremdenzu lieben 45
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Titel
- Menschenrechte und Gerechtigkeit als bleibende Aufgaben
- Untertitel
- Beiträge aus Religion, Theologie, Ethik, Recht und Wirtschaft
- Autoren
- Irene Klissenbauer
- Franz Gassner
- Petra Steinmair-Pösel
- Herausgeber
- Peter G. Kirchschläger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-1165-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 722
- Kategorie
- Recht und Politik