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Theater als Medium höfischer Kommunikation
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kritisiert wird der durch seine Passion getriebene Odysseus zudem durch seinen Sohn
Telemach, welcher mit der Stimme der Vernunft spricht und den Vater mehrfach
– und
vergeblich – von seinem Wahn abzubringen versucht:
»Der Eyfer ist im ersten Zornes Triebe
Meist blind / und trifft nicht leicht das rechte Ziel.« (III/3)
Telemach kritisiert aber zugleich auch den Liebeswahn der übrigen Freier, der sich von
dem des Ulysses nicht wesentlich unterscheidet:
»Es trifft wohl redlich ein /
Daß der so stoltz und der verliebt wil seyn /
Pflegt gar zu leicht in Wahnwitz zu gelangen /
Und man dahero mehr als wahr befindt /
Daß Lieb und Zorn und Ubermuth sind blind.« (III/4)
Insbesondere an Odysseus führt das Stück die gefährlichen Folgen blinder Eifersucht
vor, ganz ähnlich wie in Shakespeares Othello. Doch während Desdemona das schuldlose
Opfer des rasenden Othello wird, behält Penelope bis zum Schluss die Kontrolle über das
Geschehen. Entscheidend ist allerdings auch hier, dass sie in Wahrheit Ulysses jederzeit
treu war und ist. Und hier schließt sich ungeachtet der Subjektivierungstendenzen, die
das Stück vom antiken Text abheben, der Kreis zu jenem: Die Treue der Gemahlinnen,
hier vorgeführt an Penelope ebenso wie an Orisbe, sind die nicht verhandelbare Be-
dingung innerhalb eines Liebesdiskurses, der den weiblichen Figuren auf dem Feld der
Liebe ansonsten einen bemerkenswerten Handlungsspielraum gewährt. Damit passt
auch die Penelope des frühneuzeitlichen Singspiels ins Paradigma der tugendhaften
Ehefrau, das unter anderem mit Homers Figur wirkungsmächtig etabliert worden war.
An den männlichen Figuren werden dagegen die destabilisierenden Folgen mangelnder
Affektbeherrschung vorgeführt. Sowohl Ulysses in seinem Eifersuchtswahn als auch
der für die falsche Frau entflammte Acrisio belegen exemplarisch, dass leidenschaftli-
che Liebe als unberechenbarer Affekt der Einhegung durch die Vernunft bedarf, um ihr
zerstörerisches Potenzial zu bändigen.
So zeigt sich auch hier das Paradoxale des im fiktionalen Kunstwerk der Frühen
Neuzeit geführten Liebesdiskurses: Einerseits leistet dieser Diskurs Tendenzen der In-
dividualisierung und Subjektivierung Vorschub, andererseits ist er auf die Kontrolle und
Einhegung der Leidenschaft gerichtet, im Zweifel auch zuungunsten des »liebenden«
Subjektes, das seine Bedürfnisse mit dem Gemeinwohl zu vermitteln hat und den Zwie-
spalt zwischen Passion und Vernunft durch Affektkontrolle zu lösen aufgefordert ist.
Auf dieser Ebene vermittelt das Penelope-Singspiel – wie zahlreiche andere auch – ein
normatives Modell höfischen Verhaltens.
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Buch Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa - Hof – Oper – Architektur"
Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
Hof – Oper – Architektur
- Titel
- Musiktheater im höfischen Raum des frühneuzeitlichen Europa
- Untertitel
- Hof – Oper – Architektur
- Autoren
- Margret Scharrer
- Heiko Laß
- Herausgeber
- Matthias Müller
- Verlag
- Heidelberg University Publishing
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-3-947732-36-4
- Abmessungen
- 19.3 x 26.0 cm
- Seiten
- 618
- Schlagwörter
- Kunstgeschichte, Architektur, Oper, art history, architecture, opera
- Kategorie
- Kunst und Kultur