Seite - 62 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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Als Ausgangspunkt dieser Studie dient der Anfang des neunzehnten Jahr-
hunderts, um die in der napoleonischen Zeit erfolgte Neuprägung des Her-
mannsmythos zu erfassen. Im folgenden Abschnitt soll das Mythische vom
empirisch Triftigen in dieser Narration abgegrenzt werden, nicht zuletzt weil
mythischeElementenoch immerdieVorstellungvielerDeutscher vonderVa-
russchlacht prägen.Auf dieserGrundlagewerdendannSchulbücherdesdeut-
schen Kaiserreichs, demHöhepunkt der Hermannsverehrung, und der Bun-
desrepublik bis zum Jahr 2000 analysiert. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
sowohl derMythos als auch die wissenschaftlichen Auffassungen zur Varus-
schlacht im Betrachtungszeitraum nicht unverändert geblieben sind, so dass
auch ihrehistorischeEntwicklungeinbezogenwerdenmuss.
DerHermannsmythosamAnfangdesneunzehnten Jahrhunderts
DieWiederentdeckungderGeschichte vonArminius imsechzehnten Jahrhun-
dert fügte sich in einenNationalisierungsschubamÜbergangzur frühenNeu-
zeitein.DerNationsbegriffderdeutschenHumanistenfußtestärkeralsnochim
Mittelalter auf derAbgrenzungnachAußen, derer sich imZeitalter derRefor-
mationvorallemdienorddeutschen,protestantischenGelehrtenbedienten,um
sich von den römisch geprägten Institutionen des Kaiser- und Papsttums zu
distanzieren.ArminiuswurdeaufdieseWeiseimsechzehntenJahrhundertzum
erstennationalenHelden,derraschdenfiktivendeutschenNamen(Heer-mann)
bekam, um ihnvonden feindlichen, römischenElementen zu reinigen. Aller-
dings blieb imDiskurs der Gelehrten die nationale Zuordnung nur eines von
mehrerenIdentitätsangeboten,zudenenunteranderemStand,Konfessionoder
Territoriumgehörten.14
InderMittedes achtzehnten Jahrhunderts jedochkündigte sicheinWandel
an.MehrereAutorenwidmenum1740ArminiusDramen, die ein verstärktes
Interesse der Zeitgenossen an der Figur des germanischenHeerführers offen-
baren,dernicht zuletzt auch fürdieKoppelungvonVaterlandsliebeundKrieg
stand.15DernationaleDiskursdesachtzehntenJahrhundertsenthieltallerdings
viele Facetten und blieb daher semantisch noch offen.16Dennoch finden sich
schon in dieser Epoche jeneElemente, die alswesentlicheCharakteristika des
modernenNationalismus imneunzehnten Jahrhundert gelten,wiedie »Sakra-
14 UtePlanert, »WannbeginntdermoderneNationalismus?Plädoyer für eine Sattelzeit«, in:
Jörg Echternkamp (Hg.), Die Politik der Nation: deutscher Nationalismus in Krieg und
Krisen, 1760–1960,München:Oldenbourg, 2009, 25–59, 35–39.
15 Hans-Martin Blitz, Aus Liebe zum Vaterland. Die deutsche Nation im 18. Jahrhundert,
Hamburg:HamburgerEdition, 2000, 91–144.
16 Blitz,AusLiebezumVaterland, 407f.
BjörnOnken62
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher