Seite - 64 - in Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern - Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
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schließlichauchdieUnterstützungdesKönigsbekamen.Als»Vaterland«sahder
KönigPreußenan,aberauchdieKartedesdeutschenNationalismuswurdevon
ihm gespielt.24 Obwohl von einem Volkskrieg für die Befreiungskriege nicht
gesprochenwerdenkann, lieferte derNationalismusdiskurs aus diesen Jahren
denKerndesnationalen Schrifttums imDeutschlanddes spätenneunzehnten
Jahrhunderts.
Als historischesVorbild fürdenKampfderDeutschengegendie Franzosen
drängtesichdersiegreicheHermanngeradezuauf.MitderKaiserkrönunghatte
Napoleon seinen vielfältigen Bemühungen, sich in römische Traditionen zu
stellen,eineKroneaufgesetzt,sodassesnichtschwerfiel, ihnmitdenrömischen
Invasoren zu identifizieren.Die deutschenNationalistenwiederumsahen sich
gern als Nachfahren der Germanen, denn Tacitus hatte sie in der Germania
nebendenbarbarischenZügenmit zahlreichenpositivenEigenschaftenverse-
hen.DenZusammenschluss vonGermanendurchHermannempfandmanals
Geburtsstunde der deutschen Nation, der man die verlorene Einheit zurück-
gebenmüsse,umzualterStärkezurückzufinden.NachdemSiegüberNapoleon
verlorderHermannsmythosdenunmittelbarenpolitischenAnlass,diefehlende
staatliche Einheit befeuerte aber weiterhin dieNationalbewegungundmit ihr
dasNarrativvomSieg imTeutoburgerWaldmitdemdarauf aufbauendenMy-
thos.25
Wären Schulbücher eine bruchlose Reflexion der bürgerlichen Geschichts-
kultur, müsste in deutschen Schulbüchern der Jahre 1806 bis 1814 der Her-
mannsmythos prominent vertreten sein.Man stößt in ihnen jedochkaumauf
glorifizierende Passagen über die römisch-germanischen Kriege. Dies hängt
vermutlich damit zusammen, dass Napoleon im deutschen Bürgertum einige
Bewunderer hatte26undvor allemdieRegierungenderRheinbundstaatenmit
Napoleonverbündetwaren.AuchPreußenbemühtesichnachdemFriedenvon
Tilsit 1807, die Franzosennicht allzusehr zu provozieren.27Als dann 1814 der
Krieg gegenNapoleon ausbrach, fehlte die Zeit, umdie Schulbücher der zeit-
genössischenKriegsrhetorik schnell anzupassen,dadieBuchproduktioneinen
längerenVorlaufverlangt.AllerdingsgelangeseinigenSchulbuchautoreninden
Jahren zuvor, denZensurinstanzen auszuweichenund einen nationalistischen
Ton in ihrer Darstellung derVarusschlacht anzuschlagen. In Berlin veröffent-
lichte1810derProfessoramCölnischenGymnasiumKarlStein(1773bis1855)28
24 Thomas Stamm-Kuhlmann,König inPreußens großer Zeit. FriedrichWilhelm III. derMe-
lancholikeraufdemThron, Berlin: Siedler, 1992, 372f.
25 AndreasDörner,PolitischerMythosundsymbolischePolitik.Sinnstiftungdurchsymbolische
FormenamBeispiel desHermannsmythos,Opladen:WestdeutscherVerlag, 1995, 111–199.
26 HerfriedMünkler,DieDeutschenund ihreMythen, Berlin:Rowohlt, 2009, 169.
27 Dörner,PolitischerMythos,146f.
28 Wolfgang Jacobmeyer, »Das deutsche Schulgeschichtsbuch 1700–1945. Die erste Epoche
BjörnOnken64
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Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Titel
- Mythen in deutschsprachigen Geschichtsschulbüchern
- Untertitel
- Von Marathon bis zum Élyseée-Vertrag
- Autoren
- Roland Bernhard
- Susanne Grindel
- Felix Hinz
- Herausgeber
- Christoph Kühberger
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht Verlage
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7370-0686-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 294
- Kategorie
- Lehrbücher