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Land und Meer hat unsre Kühnheit sich den Weg gebrochen, unvergängliche
Denkmale sich überall im Guten und Schlimmen aufrichtend«). Diese
»Kühnheit« vornehmer Rassen, toll, absurd, plötzlich, wie sie sich äussert,
das Unberechenbare, das Unwahrscheinliche selbst ihrer Unternehmungen –
Perikles hebt die ραθυμια der Athener mit Auszeichnung hervor – ihre
Gleichgültigkeit und Verachtung gegen Sicherheit, Leib, Leben, Behagen,
ihre entsetzliche Heiterkeit und Tiefe der Lust in allem Zerstören, in allen
Wollüsten des Siegs und der Grausamkeit – Alles fasste sich für Die, welche
daran litten, in das Bild des »Barbaren«, des »bösen Feindes«, etwa des
»Gothen«, des »Vandalen« zusammen. Das tiefe, eisige Misstrauen, das der
Deutsche erregt, sobald er zur Macht kommt, auch jetzt wieder – ist immer
noch ein Nachschlag jenes unauslöschlichen Entsetzens, mit dem
Jahrhunderte lang Europa dem Wüthen der blonden germanischen Bestie
zugesehn hat (obwohl zwischen alten Germanen und uns Deutschen kaum
eine Begriffs-, geschweige eine Blutverwandtschaft besteht). Ich habe einmal
auf die Verlegenheit Hesiod’s aufmerksam gemacht, als er die Abfolge der
Cultur-Zeitalter aussann und sie in Gold, Silber, Erz auszudrücken suchte: er
wusste mit dem Widerspruch, den ihm die herrliche, aber ebenfalls so
schauerliche, so gewaltthätige Welt Homer’s bot, nicht anders fertig zu
werden, als indem er aus Einem Zeitalter zwei machte, die er nunmehr hinter
einander stellte – einmal das Zeitalter der Helden und Halbgötter von Troja
und Theben, so wie jene Welt im Gedächtniss der vornehmen Geschlechter
zurückgeblieben war, die in ihr die eignen Ahnherrn hatten; sodann das
eherne Zeitalter, so wie jene gleiche Welt den Nachkommen der
Niedergetretenen, Beraubten, Misshandelten, Weggeschleppten, Verkauften
erschien: als ein Zeitalter von Erz, wie gesagt, hart, kalt, grausam, gefühl- und
gewissenlos, Alles zermalmend und mit Blut übertünchend. Gesetzt, dass es
wahr wäre, was jetzt jedenfalls als »Wahrheit« geglaubt wird, dass es eben
der Sinn aller Cultur sei, aus dem Raubthiere »Mensch« ein zahmes und
civilisirtes Thier, ein Hausthier herauszuzüchten, so müsste man
unzweifelhaft alle jene Reaktions- und Ressentiments-Instinkte, mit deren
Hülfe die vornehmen Geschlechter sammt ihren Idealen schliesslich zu
Schanden gemacht und überwältigt worden sind, als die
eigentlichen Werkzeuge der Cultur betrachten; womit allerdings noch nicht
gesagt wäre, dass deren Träger zugleich auch selber die Cultur darstellten.
Vielmehr wäre das Gegentheil nicht nur wahrscheinlich – nein! es ist
heute augenscheinlich! Diese Träger der niederdrückenden und
vergeltungslüsternen Instinkte, die Nachkommen alles europäischen und nicht
europäischen Sklaventhums, aller vorarischen Bevölkerung in Sonderheit –
sie stellen den Rückgang der Menschheit dar! Diese »Werkzeuge der Cultur«
sind eine Schande des Menschen, und eher ein Verdacht, ein Gegenargument
gegen »Cultur« überhaupt! Man mag im besten Rechte sein, wenn man vor
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Buch Zur Genealogie der Moral"
Zur Genealogie der Moral
- Titel
- Zur Genealogie der Moral
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 148
- Kategorie
- Geisteswissenschaften