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Zur Genealogie der Moral
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Text der Seite - 29 -

12 – Ich unterdrücke an dieser Stelle einen Seufzer und eine letzte Zuversicht nicht. Was ist das gerade mir ganz Unerträgliche? Das, womit ich allein nicht fertig werde, was mich ersticken und verschmachten macht? Schlechte Luft! Schlechte Luft! Dass etwas Missrathenes in meine Nähe kommt; dass ich die Eingeweide einer missrathenen Seele riechen muss!… Was hält man sonst nicht aus von Noth, Entbehrung, bösem Wetter, Siechthum, Mühsal, Vereinsamung? Im Grunde wird man mit allem Übrigen fertig, geboren wie man ist zu einem unterirdischen und kämpfenden Dasein; man kommt immer wieder einmal an’s Licht, man erlebt immer wieder seine goldene Stunde des Siegs, – und dann steht man da, wie man geboren ist, unzerbrechbar, gespannt, zu Neuem, zu noch Schwererem, Fernerem bereit, wie ein Bogen, den alle Noth immer nur noch straffer anzieht. – Aber von Zeit zu Zeit gönnt mir – gesetzt, dass es himmlische Gönnerinnen giebt, jenseits von Gut und Böse – einen Blick, gönnt mir Einen Blick nur auf etwas Vollkommenes, zu- Ende-Gerathenes, Glückliches, Mächtiges, Triumphirendes, an dem es noch Etwas zu fürchten giebt! Auf einen Menschen, der den Menschen rechtfertigt, auf einen complementären und erlösenden Glücksfall des Menschen, um desswillen man den Glauben an den Menschenfesthalten darf!… Denn so steht es: die Verkleinerung und Ausgleichung des europäischen Menschen birgt unsre grösste Gefahr, denn dieser Anblick macht müde… Wir sehen heute Nichts, das grösser werden will, wir ahnen, dass es immer noch abwärts, abwärts geht, in’s Dünnere, Gutmüthigere, Klügere, Behaglichere, Mittelmässigere, Gleichgültigere, Chinesischere, Christlichere – der Mensch, es ist kein Zweifel, wird immer »besser« … Hier eben liegt das Verhängniss Europa’s – mit der Furcht vor dem Menschen haben wir auch die Liebe zu ihm, die Ehrfurcht vor ihm, die Hoffnung auf ihn, ja den Willen zu ihm eingebüsst. Der Anblick des Menschen macht nunmehr müde – was ist heute Nihilismus, wenn er nicht das ist?… Wir sinddes Menschen müde…
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Zur Genealogie der Moral
Titel
Zur Genealogie der Moral
Autor
Friedrich Wilhelm Nietzsche
Datum
1887
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.0 cm
Seiten
148
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorrede 2
  2. Erste Abhandlung: »Gut und Böse«, »Gut und Schlecht« 10
  3. Zweite Abhandlung: »Schuld«, »schlechtes Gewissen« und Verwandtes 40
  4. Dritte Abhandlung: was bedeuten asketische Ideale? 84
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