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sein: – damit gewinnen sie ja bei sich das Recht, dem Raubvogel
es zuzurechnen, Raubvogel zu sein… Wenn die Unterdrückten,
Niedergetretenen, Vergewaltigten aus der rachsüchtigen List der Ohnmacht
heraus sich zureden: »lasst uns anders sein als die Bösen, nämlich gut! Und
gut ist Jeder, der nicht vergewaltigt, der Niemanden verletzt, der nicht
angreift, der nicht vergilt, der die Rache Gott übergiebt, der sich wie wir im
Verborgenen hält, der allem Bösen aus dem Wege geht und wenig überhaupt
vom Leben verlangt, gleich uns den Geduldigen, Demüthigen, Gerechten« –
so heisst das, kalt und ohne Voreingenommenheit angehört, eigentlich nichts
weiter als: »wir Schwachen sind nun einmal schwach; es ist gut, wenn wir
nichts thun, wozu wir nicht stark genug sind« – aber dieser herbe
Thatbestand, diese Klugheit niedrigsten Ranges, welche selbst Insekten haben
(die sich wohl todt stellen, um nicht »zu viel« zu thun, bei grosser Gefahr),
hat sich Dank jener Falschmünzerei und Selbstverlogenheit der Ohnmacht in
den Prunk der entsagenden stillen abwartenden Tugend gekleidet, gleich als
ob die Schwäche des Schwachen selbst – das heisst doch sein Wesen, sein
Wirken, seine ganze einzige unvermeidliche, unablösbare Wirklichkeit – eine
freiwillige Leistung, etwas Gewolltes, Gewähltes, eine That, ein Verdienstsei.
Diese Art Mensch hat den Glauben an das indifferente wahlfreie
»Subjekt« nöthig aus einem Instinkte der Selbsterhaltung, Selbstbejahung
heraus, in dem jede Lüge sich zu heiligen pflegt. Das Subjekt (oder, dass wir
populärer reden, die Seele) ist vielleicht deshalb bis jetzt auf Erden der beste
Glaubenssatz gewesen, weil er der Überzahl der Sterblichen, den Schwachen
und Niedergedrückten jeder Art, jene sublime Selbstbetrügerei ermöglichte,
die Schwäche selbst als Freiheit, ihr So- und So-sein als Verdienst auszulegen.
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Zur Genealogie der Moral
- Titel
- Zur Genealogie der Moral
- Autor
- Friedrich Wilhelm Nietzsche
- Datum
- 1887
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.0 cm
- Seiten
- 148
- Kategorie
- Geisteswissenschaften